Alternativlos 24 — Transkript

Minute 00h00 bis 00h05

FR: Herzlich willkommen zu alternativlos, die Folge No. 24. Wir haben heute einen ganz besonderen Gast, beziehungsweise sind wir zu Gast bei Herrn Dr. Mathias Döpfner, dem Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer AG. Schönen guten Tag.

MD: Guten Tag, freu' mich.

FR: Ja, alternativlos hat ja den Anspruch, zu versuchen, Dinge etwas tiefer zu beleuchten und auch ein bisschen mehr Zeit zu haben, um Sachen auszuwalzen und …

MD: … großartig …

FR: … Gelegenheit zu geben, doch tatsächlich Verständnis zu schaffen. Eines der Dinge, wo wir auch feststellen, dass gerade unsere Hörer ein bisschen unsicher sind, ist: Was macht denn eigentlich so ein Verleger? Also welches Selbstverständnis hat so ein Verlag. Und was ist der Anspruch, den Sie da haben?

MD: Ich glaube, es ist wichtig, daß man eine gesellschaftspolitische Bedeutung und eine ökonomische Bedeutung in einer guten Balance hält. Verlage, die sich nur gesellschaftspolitisch definieren, neigen sehr schnell dazu, Politik zu machen. Und das ist ungesund. Verlage, die sich rein ökonomisch definieren, neigen dazu, Journalismus und Inhalte hintanzustellen und nur der Profitmaximierung zu dienen. Und das ist genauso falsch und führt zu schlechtem Journalismus.

Also: unser Selbstverständnis ist, und unser Geschäft ist, Inhalte, Journalismus, gut recherchierte unabhängige Geschichten, die starke, glaubwürdige Medienmarken etablieren, die Leserinnen und Lesern auf verschiedenen Vertriebskanälen, das heißt als Zeitungen, als Zeitschrift und als Websites und als Apps auf Smartphones und Tablets Nachrichten, Meinungen und Unterhaltungsangebote machen und damit natürlich eine wichtige Rolle spielen im gesellschaftlichen Diskurs.

Nur wenn Menschen, Themen haben, an denen sie sich reiben können, Fakten haben, auf die sie sich beziehen können, Informationen haben, über die sie sprechen können und natürlich auch sich mit Positionen konfrontieren, die vielleicht nicht ihre sind, die sie anders sehen, nur dann wird eigentlich ein gesellschaftlicher Diskurs lebendig und dazu versuchen wir beizutragen.

FR: Das heißt, Sie sehen sich da eher als "Enabler", also nicht selbst Einfluss zu nehmen, aber das Spielfeld dafür zu schaffen, daß andere Einfluss nehmen können?

MD: Ich glaube, wenn man als Journalist Politik machen will, ist es genauso schlecht, wie wenn man als Verantwortlicher eines Verlages versucht, Meinungen vorzugeben, also eine zentralistisch organisierte Meinungsmaschine oder Richtungsvorgabe, die funktioniert nicht. Man muss sich entscheiden: will man gute Journalisten oder will man gehorsame Journalisten. Beides geht nicht. Gute Journalisten sind ungehorsam, und deswegen ist das wichtigste, dass man eine Kultur etabliert, in der es diese maximale innere Meinungsfreiheit gibt. Das heißt ein Chefredakteursprinzip: Der Chefredakteur definiert, was in seiner Zeitung steht und das wiederum setzt sich in der Regel zusammen aus den Summen der unterschiedlichen Meinungen der Redakteurinnen und Redakteure. Das heißt aber nicht Beliebigkeit. Und auch da ist wieder eine Balance zu finden: Freiheit, innere Freiheit, Meinungsfreiheit, Pluralismus, ganz wichtig. Auf der anderen Seite muß es aber auch soetwas geben wie einen Werterahmen, in dem man sich bewegt. Und das hat ja der Axel-Springer-Verlag in einer Weise getan, die ich eigentlich sehr vorbildlich finde, weil wir unsere Werte, die gesellschaftspolitischen Grundprinzipien veröffentlichen, ganz transparent. Es gibt diese fünf Präambeln, die wir im Geschäftsbericht veröffentlichen, die bei jeder anderen Gelegenheit öffentlich gemacht werden, und die genau definieren, was die gesellschaftspolitischen Grundwerte sind, denen sich Axel Springer verpflichtet fühlt. Das ist die deutsche und die europäische Einheit. Das ist die Unterstützung der Lebensrechte des Staates Israels und die Aussöhnung zwischen Deutschen und Juden. Das ist die Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und die Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten. Das ist die Unterstützung der sozialen und freien Marktwirtschaft. Und es ist die Bekämpfung jeglicher Art von politischem Extremismus.

Das sind die fünf Prinzipien. Sie sehen daran, das ist keine Parteipolitik, keine Personalpolitik. Es ist überhaupt keine Tagespolitik. Es sind gesellschaftspolitische Grundwerte und das sagen wir: Dafür stehen wir, aber in diesem Rahmen ist natürlich ganz viel – oder fast alles möglich. Denn wer grundsätzlich Amerika, das transatlantische Bündnis unterstützt, kann trotzdem die aktuelle Regierung in Amerika oder in Israel kritisieren. Und wer für Europa ist, der kann auch Eurobonds kritisieren. Also das Spektrum der Meinungen bleibt groß und muß groß bleiben und ist niemals zentral gesteuert.

Fefe: Würden Sie sagen, daß das gelingt? Daß die Redakteure auch frei kritisieren dürfen, oder ist es eher so, daß sich à la Chomsky, wer in den Platz kommt, in der Zeitung auch schon soweit sozialisiert ist, innerhalb Ihres Wertekanons, daß er das nicht tun würde.

Minute 00h05 bis 00h10

MD: Also, ich will versuchen, eine differenzierte Antwort darauf zu geben. Natürlich ist diese Veröffentlichung der Werte, die ich gerade zitiert habe, schon eine Orientierung, bei der jemand, der jetzt fundamental antiamerikanisch ist, also der sagt: "Der amerikanische, kapitalistische, imperialistische Vorstoß ist das Elend der Welt, und je schneller dieses System in sich zusammenstürzt, desto besser für den Rest der Welt!", wer so eine Position hat, der wird sich gar nicht angezogen fühlen, von unserem Haus. Und wenn er in diesem Sinne fundamental antiamerikanisch argumentieren würde, dann würde es – glaube ich – schon eine Diskussion geben, das ist eigentlich nicht das, was wir mit dieser Präambel gemeint haben.

Auf der anderen Seite, seit ich hier im Haus bin, und das ist schon über zehn, zwölf Jahre, ist das noch kein einziges Mal passiert. In dem Sinne muß ich schon sagen, daß ich vom ersten Tag an daran gearbeitet habe, daß dieses Prinzip des Ungehorsams des Widerspruchsgeistes, der Unberechenbarkeit der Zeitung wirklich in der Praxis gelebt wird. Ich habe das selbst so erlebt. Ich bin so journalistisch sozialisiert worden bei der FAZ, wo ich als Musikkritiker anfing, Anfang der achtziger Jahre, und in solchen Auseinandersetzungen über meine Meinung, die damals nicht zur Blattlinie passten, erlebt habe, wie wichtig es für einen Journalisten ist, "okay, we disagree"; wir finden das völlig falsch, aber wir drucken es trotzdem. Und das ist genau die Kultur, die ich auch hier im Hause befördere. Und jetzt bin ich nicht naiv genug zu glauben, daß es hier eine perfekte Welt wäre und alles super läuft – mit Sicherheit nicht – aber eines sage ich mittlerweile auch mit allem Selbstbewußtsein, das vielleicht nicht ins Klischee passt: Ich habe schon in mehreren Verlagen gearbeitet und beobachtet, wie in anderen Häusern gearbeitet wird und höre von Journalisten, was sie in anderen Häusern erleben. Ich glaube, daß Axel Springer im Moment in Deutschland der vielleicht liberalste, freiheitlichste Verlag ist, wo wirklich Journalisten das Gefühl haben, daß sie schreiben können, was sie für richtig halten. Da Sie's mir vermutlich nicht glauben, empfehle ich, mit dem einen oder anderen zu sprechen, den sie für einen Widerspruchsgeist halten und sagen: "Sag mal, wie ist denn das wirklich da bei Springer".

FR: Die Grundlage dafür ist natürlich, daß es ein wirtschaftlich solides Verlagshaus gibt, daß die Ökonomie stimmt und man genug Geld reinbekommt, um das ganze am Laufen zu halten. Nun jammern die Verlage ja schon seit vielen Jahren, daß es schlecht ist, das die Auflagenzahlen sinken und das Internet sie alle fressen wird und Google am Horizont droht oder schon der große Gegner ist. Wie schlimm ist es denn tatsächlich? Was sind denn die Probleme, die heute da sind?

MD: Vielleicht zwei Bemerkungen dazu: Zum Einen, wir sind glücklicherweise wirtschaftlich hocherfolgreich, wir veröffentlichen seit sieben Jahren mit Ausnahme des Krisenjahres 2009 ein Rekordergebnis nach dem anderen, also historische Rekordergebnisse. Das Haus ist hochprofitabel. Das verdanken wir im Wesentlichen der frühen Digitalisierung. Wir haben früher als alle anderen Verlage angefangen, unser Geschäft nicht als das Bedrucken von Zeitungen zu verstehen, sondern als das Erstellen von Inhalten, von gutem Journalismus, und zwar auf allen Kanälen und vor allen Dingen im Internet und das trägt mittlerweile schon 33% unseres Gesamtumsatzes bei und 34% des Gesamtgewinns. Das heißt, deshalb – wegen dieer Digitalisierung – geht es uns wirtschaftlich außerordentlich gut.

Zweite Bemerkung: Ich glaube, daß es auch gut ist, wenn es Verlagen gut geht und wenn Journalismus ein Geschäftsmodell ist. Man kann natürlich sagen: "Ach, das hört sich so kapitalistisch und irgendwie kalt an, und ist doch schöner, wenn Journalismus irgendetwas Idealistisches ist." Ich glaub das überhaupt nicht, weil das führt dazu, daß es erstens weniger Angebot gibt, denn da wo kein Geschäftsmodell ist, wirds auch schwierig, mit großen Ressourcen und vielen Arbeitsplätzen unabhängig zu recherchieren und zweitens ist natürlich der Journalist, der nur einer guten oder vermeintlich guten Sache dient, ganz schnell auch so etwas wie Aktivist. Und sind die Verleger, die nicht mehr sagen: "Wir wollen Gewinn erwirtschaften", sondern: "Wir tun das, um die Welt zu beglücken", ganz schnell im Grenzbereich zum Politiker, zum Weltverbesserer, zum Ideologen, der möglicherweise eine langfristig unerfreuliche Agenda hat. Wenn man mal guckt, in die Geschichte, dann war das in der Tat auch noch vor gar nicht so langer Zeit vielfach so: Also im 19. Jahrhundert und im 18. Jahrhundert waren viele Verlage Besitztümer reicher Leute, die gesagt haben: "Ich habe eine bestimmte Meinung, ich will die Zentrumspartei unterstützen und durchsetzen und deswegen gründe ich einen Verlag, deswegen veröffentliche ich Zeitungen", also Zeitungen als Propagandainstrument. Und das – glaube ich – funktioniert heute (Gott sei dank) nicht mehr, es funktioniert vor allem auch in der digitalen Welt nicht mehr so leicht und deshalb glaube ich, ist es ganz gesund, wenn es neben diesen inhaltlichen Wollen auch das ökonomische Müssen gibt, weil das Verlage zu einem Pragmatismus zwingt und ihnen diese ideologische, politische Weltverbessererdimension nimmt.

Ich glaube, es gibt im gesamtgesellschaftlichen Interesse durchaus viele gute Gründe dafür, daß Journalismus ein erfolgreiches Geschäftsmodell ist und bleibt.

Minute 00h10 bis 00h15

FR: Aber dabei ist natürlich die Frage, gerade große Konzerne, die einen großen Teil des Anzeigenvolumens beisteuern, können natürlich relativ problemlos Einfluß nehmen auf die Redaktionen direkt oder indirekt. Die wirtschafltiche Situation der Zeitung, je prekärer sie wird, desto problematisch ist natürlich auch der Einfluß der Anzeigenkunden.

MD: Sie sprechen ein absolutes Lieblingsthema von mir an, weil genau so, wie Sie es beschreiben, ist es. Je mehr ein Verlag von wenigen Anzeigenkunden abhängt, und je ungesunder er insgesamt ökonomisch ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, daß diese wenigen Anzeigenkunden Einfluß auf die Berichterstattung nehmen. Man muß leider sagen, daß das an der einen oder anderen Stelle heute schon der Fall ist. Die Versuche werden immer wieder gemacht: "Tausche ein paar Anzeigen gegen nette Berichterstattung." Und das ist das Ende von glaubwürdigem, unabhängigem Journalismus. Und deshalb ist es so wichtig, daß Verlage wirtschaftlich erfolgreich sind und unabhängig sind und übrigens auch deshalb ist es so wichtig, daß sie nicht nur auf Anzeigeneinnahmen angewiesen sind, sondern daß sie auch – vor allen Dingen als zweite große Erlösquelle – den zahlenden Leser haben, der mit dem Geld, das ihm diese Art von Journalismus wert ist, dazu beiträgt, daß Anzeigen nur ein Teil der Einnahmen sind, und daß es sich dann ein Verlag eben leisten kann, gegenüber einem Anzeigenkunden völlig unabhängig aufzutreten und zu sagen: "Das machen wir nicht".

Ich kann Ihnen sagen, in unserem Haus spielt das eine sehr große Rolle, wir haben sehr früh schon – im Jahr 2003 – eingeführt, Leitlinien zur Sicherung der journalistischen Unabhängigkeit. Und da haben wir es unseren Journalisten regelrecht verboten, mit Anzeigenkunden Gespräche über irgendwelche Berichte zu führen und ganz harte Grenzen gezogen und gesagt: Sobald ein Journalist von einem Anzeigenkunden sich einladen läßt, oder irgendwelche Geschenke annimmt, oder irgendwelche Absprachen trifft, ist das ein harter Verstoß gegen unsere Leitlinien. Wir haben übrigens schon die eine oder andere konkrete Erfahrung gemacht – ich will jetzt keine konkreten Namen nennen – wo große Anzeigenkunden gesagten haben: "Wir haben uns so über ihre Berichterstattung geärgert, wenn Sie das nicht abstellen, kündigen wir sämtliche Anzeigen bei Ihnen". Da haben wir gesagt: "Gut, dann müssen Sie das tun", haben weiter berichtet, dann haben die tatsächlich alle Anzeigen gekündigt und dann haben wir einfach weitergemacht. Nicht aggressiver als vorher, nicht milder als vorher, einfach weitergemacht. Und nach ein paar Monaten kamen sie wieder zurück, weil sie nämlich gemerkt haben, daß sie einen Fehler gemacht haben.

Also ich glaube, ein selbstbewußter Verlag, der sich von solchen Druck und Drohversuchen nicht einschüchtern läßt, schützt am Ende sein Geschäftsmodell und das Geschäftsmodell basiert auf unabhängigem, unberechenbaren Journalismus, der auf die Wünsche von Anzeigenkunden keine Rücksicht nimmt.

FR: Wie ist denn momentan das Verhältnis – wieviel Prozent der Einnahmen kommen noch aus Anzeigen und wieviel aus direkten Einnahmen?

MD: Bei uns ziemlich genau fünfzig - fünfzig. Die Hälfte der Einnahmen kommt aus dem Anzeigengeschäft, die andere Hälft kommt aus dem Vertrieb – das heißt vom Abonnenten oder vom zahlenden Käufer, der am Kiosk oder für eine App etwas bezahlt.

FR: Und wie ist das im Rest des deutschen Verlagswesens?

MD: Etwas stärker zugunsten der Anzeigenerlöse, also wir haben einen relativ ungewöhnlich hohen Vertriebserlösanteil, aber die deutschen Verlage sind da wiederum generell auch stärker noch von Vertriebserlösen abhängig, oder stärker auch durch Vertriebserlöse unabhängig gemacht – muß man es ja eigentlich sagen – als das beispielsweise viele Verlage in Amerika sind, wo teilweise die Anzeigenerlöse bis zu achtzig Prozent betragen.

Fefe: Wenn Sie jetzt erzählen, daß Sie harte Regeln vergeben haben – gegen Reden mit Anzeigenkunden – das klingt ja so, als wenn das ein konkretes Problem gegeben hätte, oder als wenn es mehr als einfach proaktiv "Wir müssen da jetzt mal einen Riegel vorschieben", sondern … wie hoch, würden Sie sagen, ist die Quote insgesamt im Verlagswesen, von Einflußnahme?

Ich meine jetzt auch so Sachen wie vorgefertigte Berichte, …

MD: …Ja, PR-Texte und so weiter. Also muß man natürlich sagen, daß man einen Unterschied zwischen Zeitschriften und Zeitungen. Bei Zeitschriften ist es viel stärker als bei Zeitungen und wiederum bei einigen Zeitschriftensegmenten, also insbesondere Modezeitschriften, da sind die Sitten – muß man ehrlich sagen – komplett verdorben. Da geht es teilweise so: "Wir schalten hier nur einen Anzeige, wenn's ein schönes Proträt gibt, und im Übrigen wenn im Bericht das Produkt soundso vorkommt". Das ist offengestanden das Gegenteil von Journalismus. Das ist gekauftes Marketing. Das muß jeder selber sehen, ob er sowas zuläßt oder nicht.

Wir sind sehr früh dazu gekommen, diese Leitlinien einzuführen. Nicht, weil es bei uns jetzt ein besonderes Problem gab, sondern weil ich in der gesamten Branche gesehen habe, daß der Druck immer größer wird, und weil ich gesehen habe, daß manche – auch weil sie wirtschaftlich in Schwierigkeiten sind – immer mehr geneigt sind, dem nachzugehen und zu sagen: "So ist das halt. Und ich meine, mal so einen PR-Text abdrucken, davon geht die Welt auch nicht unter." Und deswegen haben wir gesagt: "Jetzt ziehen wir hier einen Riegel ein." Das ist damals ziemlich belächelt worden, auch bei uns im Unternehmen, bißchen so: "Das ist jetzt der Moraltrip vom Vorstandsvorsitzenden. Glaubt der jetzt, da wir ein gutes Jahresergebnis haben, daß er sich das leisten kann und so … " Ich würde sagen, es geht nicht um Moraltrip. Es geht erstens um eine Frage des Grundanstands und eine Grundlage von unabhängigen Journalismus und es geht aber auch um den Schutz unseres Geschäftsmodells.

Minute 00h15 bis 00h20

MD: Weil, wenn ein Anzeigenkunde lernt, daß er mit einer kleinen Incentive-Reise wohlmeinende Berichterstattung billiger erkaufen kann, als mit einer Anzeige, dann wird er lieber Redakteure bestechen, als Anzeigen zu schalten. Und das ist neben der moralischen Dimension auch einfach schlecht für unser Geschäft. Aus diesen beiden Gründen habe ich damals gesagt, wir machen das. Es ist belächelt worden, da sind die ersten Schleichwerbungsskandale öffentlich geworden, das war damals im Fernsehen – ich glaube Sat.1 und ARD waren zwei große Sachen. Und das war dann so ein bißchen ein "Ach, war dann doch ganz gut, daß wir's gemacht haben". Wir haben jetzt gerade vor Kurzem nochmal eine Diskussion geführt und ein paar Dinge verschärft noch gegenüber den Regeln, die wir 2003 eingeführt haben und das jetzt in unseren neuen Code of Conduct eingeführt.

Ich halte bin da sehr rigoros, weil ich einfach glaube, daß es echt wichtig ist, daß wir an der Stelle keine falschen Kompromisse machen.

Fefe: Wenn man sich ihre Digitalstrategie ansieht – wir haben da jetzt geredet von Apps und von Einnahmequellen – dann sieht man beim ASV eine Sache, die ich interessant finde, nämlich daß Sie nicht eine Axel-Springer-App haben, sondern Sie haben eine App pro Zeitung, die das machen soll. Und auch die Stratgeien der einzelnen Zeitungen sind alles andere als identisch. Sie haben da durchaus Spielraum in den einzelnen Redaktionen. Ist das Absicht, oder warten Sie? Ist das so eine Art "Wir gucken mal, wer gewinnt und das machen wir dann hausweit", oder ist das …

MD: Das ist Absicht. Und zwar sowohl inhaltlich journalistisch als auch strategisch, wenn es jetzt um die …-Digitalisierung geht. Inhaltlich ist dieser Pluralismus genau wichtig aus den Gründen, die wir ganz am Anfang besprochen haben, das sehen Sie bei uns immer wieder. Die Welt sagt: "Der Türkeibeitritt in die EU ist falsch". Die Bild-Zeitung sagt: "Der Türkeibeitritt in die EU ist richtig und muß so schnell wie möglich passieren". Die Bild-Zeitung hat im vorletzten US-Präsidentschaftswahlkampf den einen Kandidaten gepushed, die Bild am Sonntag genau den anderen. Und die Welt hat ein Pro und Kontra gemacht und die Welt am Sonntag hat gesagt: "Wir halten uns da ganz raus, wir sollten überhaupt nix dazu sagen, wer der bessere Präsident ist." Da sehen Sie wunderbarerweise Pluralismus, der sich einfach so ergibt. Und genauso, wie wir es mit dem Journalistischen machen, so machen wir es auch auch strategisch, wenn es jetzt darum geht, neue Geschäfte, die sich entwickeln, oder neue Vertriebskanäle, die sich entwickeln, zu erschließen. Wir wissen es doch nicht, wie es wirklich läuft, wir wissen nicht, was ist die beste App.

Nehmen Sie mal das Beispiel App: Die Bild und die Welt haben eine App gemacht. Die Bild hat eine hochgeradig soffisticated App gemacht, verspielt übrigens auch, auf einer Spieleprogrammierung sogar basierenden Technologie und die Welt hat eine ganz, ganz einfache, sehr stark an einer fast traditionellen Zeitungsoptik angelehnte App gemacht: Völllig unterschiedliche Konzepte, ästhetisch und inhaltlich, und es war interessant zu sehen, daß plötzlich an der Stelle sogar der Welt-Ansatz – anders als wir es vermutet hätten – besser funktioniert hat. Und genauso machen wir es auch, wenn's jetzt darum geht, Bezahlmodelle auszuprobieren, Technologien auszuprobieren. Da wir nicht wissen, was richtig ist, ist es doch viel klüger, parallel unterschiedliche Wege auszuprobieren. Und wenn man dann merkt, das eine funktioniert gar nicht und das andere immer wieder, dann ist es natürlich wahrscheinlich, daß das auch intern kopiert wird und das mehr sich in diese Richtung entwickeln. Das ist dieser ganz gesunde Trial- und Errorprozess.

FR: Sehen Sie denn schon, ob die Paywalls funktionieren?

MD: Ja, moment! Paywall in dem Sinne gibt es ja noch gar nicht. Was wir nur gesagt haben, daß wir erstmal im ersten Schritt auf den mobilen Angeboten, d. h. auf den Tablet-Apps und auf den Smartphone-Apps grundsätzlich keine Kostenlos-Angebote machen. Siebzig Prozent aller Apps sind kostenpflichtig. Die Funktion einer App ist für den Leser, die Leserin ein hoffentlich wichtiger Beitrag und die Bereitschaft, dann dafür auch zu bezahlen, so wie man für Telefongespräche bezahlt, so wie man für eine SMS bezahlt, um vielleicht zu sagen: "Komme fünf Minuten später", wenn wir nicht das Selbstbewußtsein haben, daß man auch für das, wofür wir von frühs bis abends arbeiten und ein paar hundert Leute in Bewegung sind und hohe Recherchekosten und Reisekosten und Layoutkosten und andere Produktionskosten aufgewendet werden, wenn wir nicht das Selbstbewußtsein haben, dafür auch ein bißchen Geld zu nehmen, dann sollten wir eigentlich unsere Tätigkeit einstellen. Insofern haben wir gesagt: "Zumindest auf den Mobilgeräten machen wir das." Im Browsergetriebenen Internet – im Web – ist natürlich die ganze Sachlage ein bißchen komplizierter. Da gibt es nunmal die Gewohnheit seit fünfzehn Jahren, daß alles kostenlos ist. Diesen Fehler haben die Verlagen, haben WIR Verlage selber gemacht. Keiner hat uns dazu gezwungen. Das hat damit zu tun, daß leider von vielen Verlagen auf der Welt das Internet komplett unterschätzt worden ist. Man hat gedacht: "Das ist ein nettes Marketing-Tool, damit kann man vielleicht ein paar mehr Zeitungen verkaufen…"

Minute 00h20 bis 00h25

MD: Man hat nicht erkannt, daß die Digitalisierung von Informationen und von Inhalten eine erdrutschartige Veränderung in der Medienlandschaft bedeutet und daß das die Leserangebote der Zukunft sind. Deswegen gibt es jetzt im Moment dieses Umdenken weltweit. Es ist wirklich ganz interessant, das zu beobachten, wie das ganz dezentral an verscheidensten Stellen passiert, daß man sagt: "Wenn immer mehr die klassische Funktion der Zeitung oder Zeitschrift ersetzt wird, durch digitale Angebote, dann müssen wir auch Wege finden, unsere Leserinnen und Leser davon zu überzeugen, dafür zu bezahlen." Und dazu ist zu allererstmal nötig, daß man wirklich attraktive Inhalte bietet und sie so aufbereitet, wie sie eben auch der User haben möchte, daß man zweitens extrem einfache Bezahlmodelle anbietet, die nicht kompliziert und langwierig sind, sondern die wirklich sehr schenll und einfach zu bedienen sind. Und dann kommt es natürlich auch noch darauf an, daß man einen rechtlichen Rahmen hat, daß man auch wirklich die Möglichkeiten hat, dann seine eigenen Inhalte tatsächlich auch zu vermarkten.

An diesen drei Voraussetzungen wird im Moment gearbeitet und ich glaube, wir werden so eine schrittweise Veränderungen sehen und wir als Verlag haben uns entschieden, auch hier verschiedene Sachen auszuprobieren, von Premium-Modellen, wo Spezialinhalte kostenpflichtig sind, über das Meter-Modell, daß die New York Times jetzt doch sehr ermutigend und erfolgreich ausprobiert hat, bis hin zu anderen Modellen, wo man einzelne Artikel bezahlen wird, d. h. für reine News, die überall verfügbar sind, wird keiner bezahlen, aber für wirklich exklusiv recherchierte Geschichte mit investigativem Kern oder für eine Geschichte mit einem hohen Service-Gehalt, mit einem wirklichen Mehrwert für den Leser, vielleicht sogar einem geldwerten Vorteil und natürlich auch für bestimmt Unterhaltungsangebote, glaube ich, ist der Nutzer dann schon bereit, auch zu bezahlen. Deswegen werden diese Sachen kostenpflichtig sein, aber ein anderer Teil des allgemeinen Nachrichtenangebots eben nicht. In dieser Weise werden wir in den nächsten zwölf, achtzehn Monaten – glaube ich – Versuche machen und eine ganze Menge Schritte machen, um dauerhaft sicherzustellen, daß unabhängiger Journalismus in der digitalen Welt ein Geschäftsmodell bleibt.

Fefe: Können Sie sich vorstellen …, bestehen Sie darauf, daß Sie selber Inkasso machen, oder können Sie sich auch sowas wie eine Kulturflatrate vorstellen?

MD: Vielleicht dazu eine differenzierte Antwort: Kulturflatrate eher nein, aber ich möchte auf keinen Fall das Inkasso unbedingt selber machen. Also eine Branchenlösung, die das Inkasso, das die Abrechnung ermöglicht, wäre besser als dezentrale Lösung der Verlage. Das finde ich unbedingt erstrebenswert. Was jetzt die Kulturflatrate betrifft, ich weiß nicht genau, ob wir das Gleiche meinen. Aber die Kulturflatrate sagt: "Du zahlst einmal einen festen betrag und dann kannst Du lesen und machen was Du willst." Das ist – glaube ich – schwierig, weil sich die Inhalteanbieter im Wettbewerb befinden und auch befinden müssen. Und das ist auch das, was die ganze Verlegerbranche über Jahrhunderte wachgehalten hat und Journalisten angetrieben hat, rauszugehen und Photographen angehalten hat, rauszugehen und die besten Photos zu machen. Wenn das nach sozialistischem Prinzip für alle gleich vergütet wird, egal was wieviel gelesen wird, dann gibt es diesen Anreiz nicht mehr.

Fefe: Der Hintergrund ist ja, der Verteilungsschlüssel im Hintergrund. Also die Frage ist, jeder zahlt gleichviel, aber im Hintegrund wird so verteilt, je nachdem was, wie häufig … was wie attraktiv ist. Also die Frage wäre jetzt weniger, bestehen Sie quasi pro Click auf Bezahlung, oder wäre eine Flatrate schon okay?

MD: In dem Sinne, wie Sie es jetzt gerade definiert haben, ist auch eine Flatrate diskutierbar. Ich sage nochmal: Wir sind da wirklich nicht festgelegt. Entscheidend ist, daß sichergestellt sein muß, daß in einer Welt, in der nach meiner Einschätzung in gar nicht so ferner Zukunft der Großteil, der bedeutetende Teil der Inhalteangebote in der digitalen Welt gelesen wird, daß dann sichergestellt ist, daß Journalismus – welcher Form auch immer, und ich sage ganz ausdrücklich gerade auch Blogs, die auch eine unglaubliche Bereicherung des Journalismus sind – daß das langfristig ein Geschäftsmodell sein kann, das Leuten ihr Dasein finanziert. Denn nur dann werden sich viele Leute finden, die morgens dafür aufstehen. Wenn man das alles kostenlos machen muß, wird die Landschaft verarmen. Und das ist am Ende nicht im Interesse der Leser. Und daher glaube ich, daß die Nutzer mehr und mehr auch kapieren, daß das in ihrem Interesse ist und das sagen ja auch die Befragungen, die in jüngster Zeit veröffentlicht worden sind, daß da auch eine wachsende Zahl von Leute sagen: "Für bestimmte Sachen bin auch auch bereit zu bezahlen."

FR: Eines der Dinge, die da gerade in der Debatte sind, ist das sogenannte Leistungsschutzrecht, das ja auch von Ihrem Hause relativ stark angetrieben wurde. Weil Sie gerade Blogger sagten, die große Befürchtung, die ja da besteht, ist daß damit quasi ein Großteil der Blogosphäre, die sich mit der deutschen Presselandschaft beschäftigt, austrocknet, weil sie einfach nicht mehr in der Lage, ohne Lizenzzahlungen zu zitieren oder zu kommentieren.

Minute 00h25 bis 00h30

MD: Moment! Also das sehe ich nun gerade völlig anders. Ich glaube, daß das Leistungsschutzrecht, so wie wir es propagiert haben, und so wie es jetzt nach meiner Kenntnis auch in dem Gesetzentwurf definiert ist, sehr wohl auch für Blogger hochattraktiv ist und Bloggern eine sichere Einkommensbasis sichert. Wenn sie Blogger sehen als primär Menschen, die Originärinhalte kreieren, die kluge Gedanken, kluge Beobachtungen, kluge Recherchen betreiben und veröffentlichen, dann werden sie bei einer gewerblichen Verwendung ihrer Inhalte – und nur darüber reden wir im Leistungsschutzrecht – private Nutzer, die etwas kopieren, sind davon ja gar nicht betroffen … aber gewerbliche Nutzer, die das dann verwenden, was ein Blogger schreibt, nehmen wir mal ein Blog über Finanzprodukte, oder ein Blog über Fußball, das wird natürlich von Industrieplayern genutzt, einfach mal kopiert und kostenlos weiterverteilt oder sogar teilweise vermarktet.

Fefe: Na das ist jetzt schon eine Urheberrechtsverletzung, da brauche ich kein Leistungsschutzrecht, um mich davor zu schützen.

MD: Na, doch! Das Leistungsschutzrecht sichert nicht nur das Recht des Autors, sondern sichert auch – und das ist ja bei einem Blog sehr wohl auch der Fall – es sicher auch das Recht desjenigen, der Recherche finanziert, der die dafür notwendigen Reisen finanziert, der eine entsprechende Darstellungsform finanziert. Das glaube ich, ist auch im Interesse aller, des kleinen Bloggers, des größeren Bloggers … es gibt ja mittlerweile auch Superblogs, wo ich zumindest nicht mehr unterscheiden kann: Worin unterscheidet sich ein Superblog wie Politico von einer Washington Post eigentlich. Das sind doch alles fließende Grenzen und ich finde es ganz falsch, und ich sehe auch keine sachliche Basis dafür, die Blogger gegen die Verlage oder die Großen gegen die Kleinen auszuspielen. Erstens ist es ganz oft so, daß aus klein groß wird. Auch Axel Springer hat mal in einem Schweinestall angefangen. Und zweitens, … ja war wirklich so! Er hat im Schweinestall angefangen zu arbeiten … zweitens ist es doch ganz ausdrücklich so, daß hier die Rechte all derjenigen geschützt werden, die eine schützenswerte geistige Anstrengung und Leistung erbringen. Sie sollen geschützt werden vor denen, die sie gewerblich – also zur eigenen Gewinnerwirtschaftung – weiterverbreiten, nichts anderes will das Leistungsschutzrecht.

FR: Wenn ich diesen Entwurf genau angucke, sehe ich zum Einen, daß er extrem unscharf ist, daß genau die Definition von "gewerblich" ist so dermaßen schwammig, daß es quasi unmöglich ist zu sagen, Felix' Blog, ob es gewerblich ist oder nicht. [An Fefe a.d.R.] Du machst zu größten Teil Kommentare auf Presseberichte, auch mit Ausrissen.

Fefe: Ich muß sagen, daß ich den Eindruck habe: Im Moment haben wir so eine Art Utopie, die wir leben können, weil jeder Zugriff auf alle Informationen hat. Dadurch ergibt sich überhaupt die Möglichkeit, einen Aggregator zu führen, in der Mitte, der auf die linkt, die wichtig sind und damit einen Beitrag zur Meinungsbildung schafft. Wenn ich jetzt aber für meine Quellen bezahlen muß – auch unabhängig vom Leistungsschutzrecht, auch schon im Vorfeld – wenn ich jetzt eine Paywall vor jeder Quelle habe, dann werde ich mir ein paar aussuchen, von denen ich einen Vorteil habe, daß die gut sind und den Rest werde ich gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen.

MD: Aber das will doch das Leistungsschutzrecht gar nicht. Gerade verlinken können Sie weiterhin, gerade Quellen können Sie natürlich besonders gut verwenden, ohne in irgendeiner Weise ins Leistungsschutzrecht zu fallen, weil das ja schon von alleine unter dem XXX bibliographischer Hinweise Ihnen absolut unbenommen ist, das zu tun. Wenn Sie eine Überschrift oder ein Textelement nehmen, benutzen und die Quelle nennen, dann ist es schon alleine durch den bibliografischen Charakter außerhalb des Leistungsschutzrechts. Ich glaube wirklich nicht – das ist vielleicht ein Mißverständnis, das man auflösen muß – ich glaube nicht, daß das Leistungsschutzrecht, wie es jetzt im Gesetzentwurf definiert ist, die Rechte der Blogger beschneidet, sondern im Gegenteil, ich glaube, daß es good news ist, für alle Blogger, weil es ihnen eine wirtschaftliche Basis verschafft, die sie im Moment nicht hätten. Deswegen ist es meines Erachtens für den kleinen Blogger genauso gut wie für den Großverlag. Es ist eine Grundsatzfrage, ob wir es zulassen wollen, daß hier eben auch große Player, große Aggregatoren, hergehen können und in systematischer Weise Rechercheleistungen, intellektuelle Anstrengungen anderer nehmen können und sie in einem anderen Kontext vermarkten. Das, finde ich, ist ein Problem, weil es langfristig dazu führt, daß es nicht mehr viele geben wird, die sich diese Anstrengungen, diese unabhängeige Recherche überhaupt noch leisten können. Damit verarmt die Landschaft und das ist auch nciht gut für die Nutzer. Das soll geschützt werden …

FR: Meinen Sie damit Google News?

MD: Unter anderem. Nicht nur, aber in der Tat auch. Es gibt ja mittlerweile auch ein paar positive auch freiwillige Beispiele, daß sich beispielsweise auch Flipboard und die New York Times geeinigt haben, daß hier tatsächlich Gebühren bezahlt werden, für die Inhalte, die verwendet werden. Das zeigt doch auch, daß da was positivies in Bewegung ist. Ich finde wirklich diesen Kulturpessimismus … ich glaube wir sind ja ein bißchen weiter, daß wir sagen, eine Welt, in der alle Inhalte gratis sind, erwirkt Demokraktiefreiheit und Humanismus, daß das eine Utopie ist, die krachend und laut zusammenkrachen muß, weil das ist nun ganz klar etwas, was nicht funktionieren kann, weil wenn für diese Dinge nicht mehr bezahlt wird, dann wird es wohl auch nicht mehr erstellt werden.

Minute 00h30 bis 00h35

MD: Also brauchen wir differenzierte Lösungen. Ich glaube, daß das Leistungsschutzrecht … wir sind nicht mit allem zufrieden, was das jetzt in dem Gesetzentwurf drinsteht … das ist aber zumindest ein Schritt in die richtige Richtung. Ich glaube, er stärkt alle Urheber. Er stärkt alle, die inhaltliche … und in das Erstellen von Inhalten investieren und ist in sofern ein guter Schritt.

FR: Wenn man sich mal anguckt, wie die juristische Meinung dazu entwickelt, dann haben wir eine komplette Spaltung. Zum einen gibt es die Juristen, die meistens in Verlagsdiensten sind, die sagen "Alles super", so wie wie es sagen. Und dann gibt es die kritischen Juristen, die sagen so "Nee", das Problem dabei ist zum Einen: Zum Einen ist die genaue Ausgestaltung, zum Beispiel, wann gilt ein Blog als kommerziell, ab wann muß für welche Inhalte gezahlt werden, also wie groß kann ein Schnipsel sein, ohne daß ich dafür Lizenzzahlungen leisten muß, daß diese Ausgestaltung im Zweifel wieder dem Landgericht Hamburg obliegt, wo am Ende eine Rechtsunsicherheit über eine gewiße Zahl von Jahren entstehen wird, die dazu führen wird, daß der Diskurs fraktioniert, daß wir dahinkommen werden, daß Felix zum Beispiel im Zweifel Verlage nicht mehr zitieren wird, bzw. Verlagsprodukte nicht mehr zitieren und kommentieren wird, die das Leistungsschutzrecht durchsetzen, daß eine extreme Unklarheit schon wieder … wenn man schon diesen Kommentar liest, zu diesem Leistungsschutzrecht … da stellt sich raus, offensichtlich wissen die selber nicht, was sie eigentlich wollen.

MD: Man kann aber einen Prozess auch überfordern, in dem man sagt, es muß jede kleine Unschärfe sofort aufgelöst werden. Dann wird nie irgendein Gesetz ergehen, dann wird es nie einen Schritt geben. Ich will nochmal eines festhalten, weil Sie es eben noch einmal wiederholt haben, da liegt echt ein Mißverständnis vor: Felix von Leitner wird völlig unbeschränkt weiter zitieren können und benutzen können: Überschriften, Text, solange er sie entweder selbst eintippt, deswegen ist z. B. Twitter auch nicht davon betroffen, wenn ich bei Twitter irgendwas eingebe, fällt das nicht unter Leistungsschutzrecht, weil ich muß es ja selbst eintippen, daher ist es egal, ob ich mir das selber ausgedacht habe, oder einen klugen Gedanken von Herrn Riegewr weiterverbeite. Und wenn er es in seinem Blog macht, dann ist es es dann nicht vom Leistungsschutzrecht erfaßt, oder wird dann nicht angegriffen, wenn er die Quelle nennt. Und das ist doch sowieiso journalistisch sauber, daß machen Sie doch ohnehin.

Fefe: Das mache ich ohnehin. Das stellt sich zum Beispiel die Frage, nehmen wir an, ich blende eine Werbung ein. Bin ich dann gewerblich?

MD: Ich glaube, wenn Sie systematisch mit der Verwertung anderer Leute Inhalte ein Geschaft machen, dann fallen Sie in diese Kategorie gewerblich. Und der eigentlich Grund des Leistungsschutzrecht ist doch nicht der Blogger, der vielleicht zwei Anzeigen in seinem Kontext hat, und deswegen hat er immer noch das Recht, den bibliographischen Hinweis vorzunehmen, so wie wir es gerade besprochen haben, sondern das Ziel ist, daß ein großer Konzern wie Siemens oder die Deutsche Bank, die systematisch etwas, das sich Journalisten im Schweiße ihres Angesichts als Recherche und investigativer Arbeit leisten können, weil es einen Verlag gibt, der dafür bezahlt, daß diese großen Konzerne einfach verwenden und es einfach kostenlos verbreiten. Zweiter Fall: Daß ein Aggregator einfach sagt: Mein Geschäftsmodell basiert einfach nur auf Klauen und im anderen Kontext vermarkten. Und das ist eine Imbalance, an der können wir kein Interesse habe. Und wenn das dann läuft, wie bei Flipboard und der New York Times, dann ist das eben vorbildlich.

Und in diese Richtung läuft, wird es sowieso laufen … Wenn wir aber dauerhaft eine jursitische Situation schaffen, daß derjenige, der in die Erstellung von Inhalten investiert, der Dumme ist, weil er diese Inhalte gar nicht mehr schützen kann, sondern kaum hat er sie digital scharfgestellt, nehmen sie fünf Konkurrenten und vermarkten sie in ihrem Kontext, dann glaube ich, wird es eine Verarmung der inhaltlichen Landschaft geben. Wir brauchen eine differenzierte Lösung. Und Herr Rieger: Ja, wahrscheinlich haben Sie sogar recht. Das Leistungsschutzrecht ist nicht das Ei des Kolumbus, da könnte manches noch besser definiert sein. Mag sein, finden auch wir Verlage, wie gesagt, wir sind ja auch nicht zufrieden. Aber wir sind zumindest froh, daß es ein Schritt in die richtige Richtung ist. Und deswegen wäre es falsch, da eine Spaltung aufzumachen und zu sagen, das ist nur gut für die und für die ist es nicht gut. Es ist für alle gut, die in gute Inhalte investieren.

FR: Constanze Kurz hat ja in der FAZ so eine kleine Dystopie entwickelt, wo sie schreibt: "Was wäre, wenn Google sagt, okay uns ist es zu riskant und wir nehmen alle deutschen Verlage aus dem Suchindex raus, weil wir nicht wollen, daß wir verklagt werden, bzw. auf Lizenzen in Anspruch genommen werden."

Fefe: … haben sie in Belgien gemacht …

FR: … wie es zum Beispiel in Belgien passiert ist.

MD: Wissen Sie, was da wäre? Das wäre ein ziemlich unappetitliches Powerplay. Das wäre das, was man auch den Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nennen kann. Das wäre ein interessanter Beleg, daß es allerhöchste Zeit ist, durch ein Leistungsschutzrecht solche Mißbräuche von Macht einzudämmen.

Minute 00h35 bis 00h40

MD: Ich sehe das aber gar nicht so, weil ich glaube, daß auch hier die Polarisierung "Google ist der Böse…", ich sehe das nicht so! Wir Verlage, alle die mit Inhalten sich befassen, profitieren natürlich auch sehr von Google und kriegen durch Google Traffic. Deswegen ist da auch nicht eine Sache "Leistungsschutzrecht gegen Google", sondern es ist einfach nur die Vereinbarung fairer Spielregeln und ich glaube auch, Google ist langfristig besser beraten, sich daran zu halten. Wer glaubt, kurzfristig überoptimieren zu können, durch "unfair search", durch Einblendung Produkte bevorzugt dargestellt werden, oder durch Piraten Geschäftsmodelle, die lediglich auf dem … ja Stehlen von Inhalten und Vermarkten in anderem Kontext basieren, wer glaubt, dadurch kurzfristig Sonderpunkte zu machen, glaube ich, wird langfristig bestraft, weil irgendwann kommt dann echt ein Regulierer und sagt: "Das wollen wir nicht mehr." Deswegen glaube ich, daß solche freiweilligen Vereinbarungen in einem frühen Stadium, die sich vielleicht auch ändern müssen über die Jahre – vielleicht ist das, was wir heute vereinbaren, in fünf oder zehn Jahren überhaupt nicht mehr gültig – aber daß das besser ist, als darauf zu warten, daß irgendwann der Regulierer mit der ganz großen Knute kommt.

Fefe: Nun hat Google Ihnen ja das Argument aus der Hand zu nehmen versucht, in dem sie einfach keine Werbung einblenden, bei google news, was ist denn die Reaktion darauf? Die Argumentation ist ganz klar. Wir machen hier gar kein Geld, das ist ein Verlustgeschäft für uns, ein Service an die Bevölkerung, wo wollen Sie denn da die …

MD: Das haben wir ja schon gesagt. Das ist natürlich eine Reaktion, die deren Taktik relativ schnell durchschaubar ist, in sofern spricht es eigentlich für sich.

Fefe: Aber, wenn Sie sagen, Sie möchten gern an den Profiten, die andere Leute mit Ihrer Arbeit machen, beteiligt werden und Google sagt: "Wir machen aber gar keine Profite", dann ist es ja erstmal ein Widerspruch.

MD: Naja, das machen sie dann jetzt in diesem speziellen Fall nicht, aber werden es vielleicht später machen – andere machen es ja auch jetzt schon.

Fefe: Das hieße ja auch, daß Sie das im Moment mit dem Leistungsschutzrecht auch nicht verhindern können, daß Google das macht, oder? Weil Google kann sagen, das ist keine kommerzielle Nutzung, die wie hier tun.

FR: … und eigentlich nur ein bibliographischer Verweis …

Fefe: Und dann wären die überhaupt nicht betroffen …

MD: Wenn sie sich an die Spielregeln des bibliographischer Verweises halten, dann gilt das auch für Google, klar. Ja.

FR: Was google news ja gerade ist, ist nur ein Ausriß, der direkt auf die Verlagswebseite linkt.

MD: Wenn sie die Spielregeln des bibliographischer Verweises beherzigen und wenn sie keine Vermarktung, keine systematische Vermarktung in diesem Kontext leisten, dann, in der Tat, wäre das langfristig auch vom Leistungsschutzrecht nicht betroffen. In sofern ist es doch wunderbar, wenn Google sagt, wir wollen das sowieso nicht, da brauchen sie doch gar nichts gegen das Leistungsschutzrecht haben. Dann betrifft sie das ja nicht. Sollten sie aber eine andere Agenda haben und das solange aufbauen, bis eine Abhängigkeit entsteht, diesen ganzen kleinen Krauter-Verlagen die Luft ausgeht und Google dann der zentralistische Inhaltemakler ist, der dann auch das Monopol auf die Vermarktung hat, dann ist es ein anderes Spiel und das müssen wir jetzt nicht noch befördern, indem wir brav nicken.

Wir nehmen Google ienfach beim Wort, wie sie es gerade sagen, wo ist das Problem?

Fefe: Gut, also der eigentliche Feind ist dann der Schnipseldienst, der innerhalb von großen Konzernen eine Nachrichtenmappe macht?

MD: Das ist auch einer der … ja, was heißt "Feind"? … das ist einer der …

Fefe: … gut, sagen wir Gegenspieler …

MD: … wissen Sie, in der analogen Welt war das kein Problem. Keiner ist hingegangen und hat sich an den Kopierer gestellt und hat einen klugen Leitartikel fünfzigtausendmal kopiert, hat keiner gemacht, ging nicht, hat zu lange gedauert, war nicht wirtschaftlich, hat einfach nicht funktioniert. In der digitalen Welt ist es ein Klick. Zack! Und deswegen sind natürlich durch die Digitalisierung einfach neue Herausforderungen entstanden. Und mit denen müssen wir uns befassen, wir können nicht sagen, was irgendwann mal vor Jahrzehnten geregelt wurde, greift jetzt noch. Aber das ist ein Prozess und in diesem Prozess müssen wir uns Schritt für Schritt an den besten Weg rantasten.

FR: Gegebenenfalls, das Leistungsschutzrecht kommt jetzt in so einer oder einer ähnlichen Form durch, wären Sie denn willens, zu sagen, okay – für den Axel-Springer-Verlag – hier sind die Spielregeln für Blogger, unter denen ihr ohne … als Klarstellung, in denen ihr Lizenzfrei mit dem Material arbeiten könnt?

MD: Absolut, sofort, ganz klar.

FR: Okay.

MD: Also nochmal, ich möchte es einmal nur noch ganz klar sagen: Ein Großteil unserer Mitarbeiter bloggt, wir sind selber Blogger, ich weiß gar nicht mehr, wo der Unterschied ist, zwischen Blogger, Superblogger, Verleger … Irgendwie zu sagen, wir sollten irgendetwas tun, was gegen die Blogger ist, wäre geradezu suizidal! Das sind unsere Freunde, unsere Partner, unsere Mitarbeiter. Wir werden gerne dazu beitragen daß es da klare Spielregeln gibt und daß wir die besonders vorbildlich einhalten und daß das etwas ist, was Blogger motiviert, mehr zu tun.

FR: Dieses Leistungsschutzrecht war ja ein interesantes Beispiel dafür, was so gern als Medienmacht bezeichnet wird, also die Macht der Verleger, Politik zu beinflussen. Nun haben wir ja gerade die Situation, daß Politik immer mehr darauf angewiesen ist, wie sie öffentlich dargestellt wird, da ja die Dinge so komplex geworden sind, daß die öffentliche Darstellung wichtiger ist, als was im Gesetzestext steht, um sie durchzukriegen. Hat sich aus Ihrer Sicht das Verhältnis zwischen Pressemacht und Politik in den letzten Jahren verändert?

MD: Interessante Frage. Ich glaube, es ist alles etwas dezentraler, etwas unübersichtlicher geworden. Es gibt nicht mehr so diese ganz kleinen Netzwerke, die alles unter sich vereinbaren. Vielleicht ging das in Bonn auch besser. Ich komme ja daher, ich kenne es ein bißchen.

Minute 00h40 bis 00h45

MD: Ich bin da geboren und vielleicht geht das im großen unübersichtlichen Berlin nicht mehr so leicht. Und das ist gut. Ich glaube, daß diese Kumpanei zwischen Politik und Medien heute weniger vorhanden ist, daß sie überschätzt wird. Es gibt sicherlich noch Formen, wo einzelne Personen zusammen ihre Spielchen machen, aber ich glaube, daß es sich insgesamt eher entfremdet. Und ich glaube, daß diese Entfremdung gut ist.

Fefe: Nun haben wir auf der Gegenrichtung allerdings so ein … die Konglomerate werden immer größer, immer wenige große Player beherrschen den Medienmarkt. Ist das nicht ein Widerspruch.

MD: Das ist … Ja in der Tat ein Problem. Da kann man jetzt verscheidene Betrachtungswinkel einnehmen. Sie können jetzt erstmal sagen, na ganz so konzentriert ist es zumindest in Deutschland noch nicht. Es gibt immernoch 360 unabhängige Zeitungsverlage. Das ist absolut führend weltweit, gibt es nirgendwo auf der Welt. In England gibt es glaub ich noch sechzig. In Amerika auch nicht viel mehr. Wir sind da weltweit absolut der fragmentierteste, kleinteiligste Markt mit natürlich auch der größtmöglichsten Meinungsvielfalt und dem größtmöglichsten Wettbewerb. Sie haben aber völlig recht, das wird sich weiter konsollidieren und weiter konzentrieren. In sofern tendenziell Vielfalt – gerade auch in der digitalen Welt – potentiell eher ausschalten.

Gegenbewegung sind genau die Blogger! Was sind denn die Blogger? Die Blogger sind alle Kleinstverleger. Ein Blogger ist ein Kleinstverleger! Und in sofern sehe ich das auch wieder überhaupt nicht kulturpessimistisch, sondern ich glaube, wir haben die Chance, daß sich im Internet möglicherweise sogar eine ganz neue Form von Vielfalt entwickelt. Da werden manche absolute Mikroblogger bleiben, weil sie so ein spezielles Theme, einen speziellen Blickwinkel und mit so winzigen Ressourcen – Einmannbetrieb – fahren, daß daraus nie etwas größeres wird. Aber andere entwickeln sich eben Schritt für Schritt in Sturkturen hinein, die dann auch wieder – wenn Sie so wollen – verlagsähnlichen, publisherähnlichen Charakter einnehmen und das kann dann absolut wieder Meinungsvielfalt und natürlich auch Qualität bedeuten.

Dieses Gerücht, im Internet wird der Journalismus schlechter, halte ich für den größten Schwannsinn, den ich je gehört habe. Das Umgekehrte ist der Fall: Im Internet KANN der Journalismus viel besser werden, weil er eine viel größere Anbietervielfalt hat und weil er natürlich auf ganz andere Intelligenzressourcen zurückgreifen kann, nämlich auf die Intelligenz der Nutzer, die jederzeit einbeziogen werden kann und weil er natürlich ganz anders im unbegrenzten Raum operieren kann. Das heißt, die Restriktion der Kürze, der Knappheit ist gar nicht gegeben, ich kann im Internet ganz schnell einfach nur einen Tweet setzen, oder eine Headline auf einer Webseite. Ich kann aber eben auch mit vierzigtausend Zeichen den Sachverhalt der Eurokrise analysieren – viel besser als in jeder Zeitung, die dafür gleich eine Sonderausgabe machen müßte. Die Tiefe, die Schnelligkeit, Vielfalt und der Zugang zu neuen Intelligenzressourcen sind eigentlich Voraussetzung dafür, daß der Journalismus in der digitalen Welt besser werden kann und auch besser werden wird. Ich glaube übrigens, daß er das heute schon ist.

Einzige Sorge, die ich hätte, wenn das in einer endlosen Gratis-culture mündet, dann wird die Vielfalt auch im Internet eingeschränkt werden. Und dann haben wir in der Tat die wenigen supermächtigen Player, die dann meistens auch eine Agenda haben. Entweder eine politische Agenda oder eine kommerzielle Agenda, weil sie von einem Großkonzern gesteuert sind – und das ist nicht erstrebenswert. Insofern, ich glaube, wir sind auf einem ganz guten Weg.

FR: Wenn wir uns in Berlin so das Verhältnis von Politik angucken, dann sehen wir immer wieder Versuche zu steuern und Einfluß zu nehmen, indem man zum Beispiel Zugang gibt, oder Zugang verweigert, daß man sagt: "Okay, diese Zeitung oder dieser Fernsehsender hat gerade über meine Ziele schlecht berichtet", oder "Hat sich nicht auf die Regierungslinie eingelassen", "nicht verkündet, daß Merkels Euro-P-olitik alternativlos ist" … diese Dinge zu tun und das ist ein relativ komplexes Spiel, das Geben und Nehmen des Zugangs, des vorherigen Leakens, des Durchstechens von Informationen und was wir aus der Beobachtung sehen, ist daß eine Menge Leute unterwegs, so PR-Berater und ähnliche, die massiv versuchen, auf die Medien Einfluß zu nehmen. Was mich da interessiert, ist wie gut kann man da als Verleger gegensteuern? Wie gut ist man in der Lage, diesen Einfluß zu unterbinden?

MD: Erstmal würde mich interessieren, wie "alternativlos" zur alternativlosen Euro-Politik von Frau Merkel steht,

FR: … kommen wir gleich noch zu …

MD: … kommen wir gleich noch zu … zweitens teile ich Ihre Analyse. Sie haben recht. Drittens glaube ich, daß die Möglichkeiten der Journalisten, damit auch der Verlage der Blogger größer sind, als man denkt. Es geht immer ein bißchen mehr, als man glaubt. Man muß nämlich einfach nur "nein" sagen. Es steht nirgendwo geschrieben, daß ich auf irgendeinen Unsinn, den ein PR-Berater mir auf's Auge drücken will, reagieren muß oder ich Teile davon übernehmen muß.

Minute 00h45 bis 00h50

MD: Das hat für mich mit beruflichem Selbstverständnis zu tun. Das hat mit Selbstbewußtsein zu tun, und eines ist klar, da schließt sich wieder der Kreis, das Selbstbewußtsein ist höher dann, wenn ich wirtschaftlich unabhängig bin. Wenn ich nicht abhängig bin davon, daß mir dieser PR-Berater oder der Kunde, den man damit glücklich macht, in Zukunft noch Geld gibt. Wenn ich davon unabhängig bin, dann ist die Wahrscheinlichkeit sher viel größer, daß ich dem dann auch widerstehe und einfach sage: "Ja, ist eine interesante Anregung, aber es tut mir leid, ich kann mich dieser Darstellung nicht anschließen und schreibe das Gegenteil."

Fefe: Würden Sie sagen, daß die Macht – oder der Einfluß – der Presse als vierte Gewalt abgenommen hat oder zugenommen noch mehr?

MD: Wenn Sie das mit dem Begriff Presse bezeichnen, dann hat der Einfluß dramatisch abgenommen, wenn Sie sagen, ob der Einfluß des Journalismus abgenommen hat und damit also der Journalismus in der digitalen Welt einschließen, dann glaube ich, daß er eher zunimmt.

Fefe: Eine Sache, die uns immer sehr am Herzen liegt, ist der Whisteblowerschutz, den wir in Deutschland nicht haben, der in Amerika existiert. Wenn jemand bei einer Firma arbeitet, die – sagen wir mal – atomaren Müll in die Umwelt gibt und der verrät das der Regierung, oder er verrät das der Presse, dann gibt es Gesetze, die ihn davor schützen, Repressalien von der Firma abzukriegen. Sowas haben wir hier nicht.

MD: In Deutschland ist er zumindest durch den Informantenschutz geschützt. Der schützt auch genau den Verlag vor der Verpflichtung, seine Quelle offenzulegen. Und das ist eben ganz wichtig. Und da muß man auch immer offen sagen, wenn das Argument der Sicherheit und der staatserhaltenden Kraft gebracht wird, mit der man solche Quellen dann doch transparent machen müßte, dann kann ich nur sagen, aus den von Ihnen eben beschrieben Gründen, ist das ein absolut heiliges Gut. Der Informantenschutz ist eine ganz wichtige Voraussetzung dafür, daß ganz viel von dem an die Oberfläche kommt, daß ganz viele Leute nicht an die Oberfläche kommen lassen wollen.

Fefe: Das kann ich als Blogger jetzt natürlich nicht geltend machen, wenn ich jetzt etwas finde, selber die Story, dann müßte ich über einen Mittelsmann gehen, um von dem Informantenschutz geschützt zu sein.

MD: Das weiß ich nicht, ich bin kein Jurist, aber das wäre ein interessanter Fall. Ich glaube, in dem Moment, wo sie als Blogger, als Autor aktiv sind und haben einen Informanten, der Ihnen was sagt, dann gilt auch … sie sind ja ein Ein-Mann-Verleger, sie verlegen ja in Ihrem Blog Ihren eigenen Beitrag.

Fefe: Ich kann den schützen …

MD: Sie schützen dann sich selbst, wenn Sie der Autor sind, schützen Sie auch sich selbst. Da müssten wir mal einen Juristen dazu nehmen. Aber das wäre mein Verständnis, das muß so sein! Und wenn es nicht so ist, dann muß es dringend so geregelt werden, natürlich!

FR: Sie sprachen ja gerade genau dieses Verhältnis von staatlichen Sicherheitsbegehren vs. Freiheit der Presse und des Informantenschutzes an, insbesondere bei der Vorratsdatenspeicherung. Was uns da so verwirrt hat war, wie sehr die deutsche Presse, unter anderem auch Blätter aus Ihrem Hause sich von diesem Sicherheitswahn haben einfangen lassen und von diesem "Wir müssen unbedingt eine Vorratsdatenspeicherung haben" vollständig verkennend, daß eine Vorratsdatenspeicherung dazu führen wird, daß es quasi keinen Informantenschutz mehr gibt, weil ein Telefonat ausreicht, um jemanden zu enttarnen …

MD: Jetzt bewegen wir uns in den Kern Ihrer Themen und Interessen und ich glaube, da ist die Schnittmenge – zumindest meiner persönlichen Meinung – sehr groß. Ich sehe das so wie sie. Wenn das einige Autoren in einigen Zeitungen unseres Hauses anders sehen, dann ist das ihr gutes Recht. Ich kann Ihnen sagen, daß mich als Leser sehr gewundert habe.

FR: Okay.

Fefe: Aber Sie haben da nicht die Knute rausgeholt und gesagt: "nein". Wie ist es denn mit Informationsfreiheitsgesetzen, ist das aus Ihrer Sicht … wird das gut genug genutzt, oder muß das schärfer werden, oder sind wir das schon zu weit gegangen und die Behörden sind jetzt überlastet mit irgendwelchen frivolen Anfragen?

MD: … ich glaube, daß es …

Fefe: An sich ist das ja ein stares Instrument für Zeitungen, Sachen herauszufinden, aber es wird eigentlich …

MD: … Sie meinen, nicht genug genutzt?

Fefe: Ich weiß es nicht, was ist denn Ihr Eindruck? […] Ist das ein reguläres Hilfsmittel für Sie, daß Sie zu irgendwelche Behörden gehen und irgendwelche Informationsfreiheitsanfragen stellen?

MD: Doch, doch. Das passiert schon. Ob es oft genug passiert und ob man damit vielleicht noch Journalismus … kritischer und aktiver oder auch aggressiver vielleicht umgehen könnte, ganz ehrlich, ich weiß es gar nicht. Aber vermutlich haben Sie recht. Vermutlich könnte man damit ja …

FR: Eines der Dinge, wo dieses Mittel recht umfangreich eingesetzt wurde, war diese Causa Wulff …

MD: Richtig.

FR: … wo ja auch genau über solche Anfragen operiert wurde. Haben Sie diesen Vorgang Wullf's auch so ein bißchen als Machtkampf verstanden?

MD: Nee!

FR: … auch um die Rolle der Presse?

MD: Überhaupt nicht. Als Machtkampf gar nicht. Rolle der Presse, das vielleicht schon ein bißchen, also was mich schon gewundert hat, bei uns auch mit hoher Massivität und mit einem wirklich ernstzunehmenden Prozentsatz Leserreaktionen kamen, "Sie machen uns den Bundespräsidenten kaputt", "Man muß respektvoller mit diesem obersten Amt im Staate umgehen". Das finde ich schon bemerkenswertes Verständnis von Journalismus. Ich dachte, es geht beim Journalismus genau darum, die kritischen Fragen zu stellen. Und entweder hat einer darauf gute Antworten und es zeigt sich: "alles in Ordnung", dann ist es wunderbar, dann hat er auch kein Problem, oder einer hat keine Antworten oder gibt die falschen Antworten, dann HAT er ein Problem, und zwar zu recht.

Also wenn die Medien, wenn Journalismus überhaupt eine wirklich ernstzunehmende für eine Gesellschaft fast existenzielle Funktion hat, dann ist es genau die, dieses Recht zu haben, solche Fragen zu stellen, solche Recherchen anzustellen.

Minute 00h50 bis 00h55

MD: Das, finde ich, hat die Berichterstattung in der Causa Wulff sehr gut bewiesen, daß es dann diesen sehr breiten Konsens gab, zwischen sehr vielen Zeitungen, Zeitschriften, Webseiten, die normalerweise schon fast ritualhaft immer anderer Meinung sind: "also wenn der das schreibt, schreiben wir das". Und in diesem Fall fanden sie alle das Gleiche. Das spricht für mich noch nicht notwendigerweise dafür, daß das eine großangelegte Verschwörung der Medienmacht in Deutschland war, sondern könnte ja auch einfach heißen, "der Mann hat wirklich was falsch gemacht."

Fefe: Nun waren ja viele der Sachen, die gegen den Wulff sprachen, eigentlich frühere Sachen, aus seiner Zeit in Hannover. Und es gab Anfeindungen, daß es eine Kampagne der Bild-Zeitung sei und daß Sie da in Ihr Kompromat-Archiv gegriffen haben.

MD: Also bei der Bild-Zeitung wird ja gerne jedes Thema, das in mehr als zwei Artikeln behandelt wird, als Kampagne bezeichnet. Ich muß sagen, wenn es eine Kampagne ist, sich als einzige Zeitung in Deutschland nicht abschrecken zu lassen von den wirklich eklatanten wahrheitswidrigen Behauptungen, zustandegekommenen Abwimmelungsversuchen der Presseberater und Pressestellen des Bundespräsidenten, was die Umstände seines Hauskaufs und seiner Hausfinanzierung betrifft, wenn also die Bild-Zeitung die einzige Zeitung war, die sich davon nicht hat abschrecken lassen, weiterrecherchiert hat, eine Klage genutzt hat, um Auskunft zu erhalten, die Erkenntnisse als einzige Zeitung verknüpft hat mit einer Aussage aus Niedersachen, dann ist das für mich – Entschuldigung – eine journalistische Glanzleistung, das ist investigativer Journalismus at it's best, der obendrein in diesem Fall auch noch äußerst vorsichtig vorgetragen wurde – der erste Artikel hieß, da war die Überschrift: "Sagte Wulff vor dem niedersächsischen die Unwahrheit?" – also noch mit Fragezeichen, sehr vorsichtig. Das ist für mich investigativer Journalismus und nun wirklich keine Kampagne.

Fefe: In einem früheren Interview haben Sie mal gesagt, eine Kampagne sei ein positives Wort und sie sehen das gar nicht als schlecht.

MD: Weiß ich nicht … ne, das glaube ich … es kommt drauf an, wie sie eine Kampagne definieren. Wenn eine Kampagne heißt: hartnäckig dranbleiben, ist eine Kampagne etwas Hervorragendes und bester Journalismus. Wenn eine Kampagne bedeutet: "ich habe nix in der Hand, aber blase die Backen auf und mache große Vorwürfe", dann muß ich sagen, ist eine Kampagne furchtbar und da Kampagne wörtlich übersetzt Feldzug heißt und ich immer gegen Feldzüge bin, bin ich auch kein Freund von Kampagnen – nicht in dem Sinne.

FR: Sie sprachen ja vorhin die Grundsätze des Verlages an und unter anderem die transatlantische Freundschaft, der Zusammenhalt von Europa und die Freundschaft zu Israel. Das sind ja mittlerweile alles drei Themen geworden, bei denen es durchaus Grund gibt, nicht zu blinder Solidarität zu greifen. Fangen wir mal mit der Frage Israel an: Wie definiert sich das denn, entlang dieser Grundsätze durchaus auch Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung üben zu können, oder eben nicht, gerade was die Siedlungspolitik angeht, zum Beispiel, ist es so, daß es ziemlich schwerfällt, bedingunslose Solidarität zu üben – die Kritik ist ja in den Blättern Ihres Hauses, sagen wir mal gedämpft.

MD: Weiß ich nicht. Ich persönlich halte die Siedlungspolitik Israels für falsch und habe das auch in Gegenwart des israelischen Außenministers und des deutschen Außenministers vor nicht allzulanger Zeit in Berlin bei einer Rede gesagt – ihm ins Gesicht. Ich lese auch in unseren Zeitungen durchaus immer wieder Kritik an der israelischen Siedlungspolitik und kann eine kritikfreie Zone für Israel – um bei diesem Beispiel zu bleiben – überhaupt nicht erkennen. Wenn aber da Leute sagen: Nahrungsmittel aus Israel sollten gekennzeichnet werden oder am besten gleich boykottiert werden, nach dem Motto "Kauft nicht bei den Juden", dann ist das schon ein ganz starkes Stück, wenn man das im Kontext eben auch zu diktatorischen System sieht, wo offenbar keiner Nahrungsmittel kennzeichnen will.

Und da finde ich es dann wichtig, daß das auch in unserem Haus ein allgemeiner anti-israelischer Zeitgeist nicht wiederholt wird und eine andere Position vertreten wird. Aber nochmal: Ich glaube, es ist immer wichtig auch zu sagen, wir legen mal die Zeitungen nebeneinander, wir gucken uns mal die Artikel an und wenn wir dann das Gefühl habe, das hat dann wirklich so ein ganz einhelligen Ton …

Minute 00h55 01h00

FR: … eine Tendenz …

MD: Dann, dann wird es mir auch immer unangenehm. Ich glaube, daß das auch bei den von Ihnen angesprochenen Themen nicht gilt, wenngleich eines schon richtig ist: In der Frage der Verhinderung jeder Form von neuem Antisemitismus ist dieses Haus sicherlich grundsätzlicher und entschlossener als bei jedem anderen Thema. Und ich glaube, daß wir auch als Haus, daß ein Massenmedium wie die Bild-Zeitung und bild.de verlegt, die über 10 Millionen Uniques erreichen, eine besondere Verantwortung hat. Da geht's auch um Zwischentöne. Wenn eine solche Marke, latent antisemitische Töne zulassen würde und bedienen würde, würden wir hier in Deutschland eine ganz andere Stimmung habe. Und deswegen glaube ich, daß das schon ein Punkt ist, bei den es in unserem Haus eine ganz besondere Sensibilität gibt.

Während sie beim Thema Europapolitik oder Bewertung der amerikanischen Regierungspolitik oder anderen Fragen zur Marktwirtschaft so ein breites Spektrum haben, daß wirklich nach meiner Einschaetzung so wirklich alles möglich ist.

Fefe: So was mich als Außenstehenden immer interessiert: Ist das sowas wie das Grundgesetz, die ersten 20 Artikel, die nie mehr angefasst werden können, oder könnte irgendwann der Vorstand sagen, "Ja also das mit der Eurozone haben wir uns nochmal überlegt, das machen wir jetzt anders"?

MD: Ich glaube Letzteres, das ist kein, das ist auch schon mehrfach angepasst worden. Also zum Beispiel die erste Präambel war ursprünglich von Axel Springer 1967 der Herstellung der deutschen Einheit gewidmet. War natürlich damals politisch völlig inkorrekt. Also wer in den sechziger Jahren sagt, die deutsche Einheit muß irgendwann möglich sein, der hat immer gesagt von der friedlichen Einheit in Freiheit, er hat diese beiden Begriffe immer mitgenommen, also immer gesagt, muß friedlich sein, also nix Territorialgewinn durch Militärisches oder so. Und zweitens: Es muß freiheitlich sein, und ist dafür natürlich als Brandenburger Tor bespottet worden, und die Leute sagten: Wer noch die deutsche Einheit für möglich hält, ist ein Reaktionär. Ich habe das selbst noch in der Uni erlebt. Die deutsche Frage galt als beantwortet, und man durfte sie nicht wieder stellen. Er hat damit Recht gehabt, die Deutsche Freiheit kam in Freiheit und Frieden zustande, er hat das leider nicht mehr erlebt. Heute ist es Common Sense. Jeder sagt: "Ist doch gut daß das Land wieder zusammen ist", und zu einem neuen Nationalismus oder Faschismus hat es bisher erkennbar nicht geführt. Also heute versteht man die Aufregung von damals gar nicht mehr.

Als das dann eintrat, machte natürlich diese Präambel keinen Sinn mehr, dann hat man sie angepasst, und hat gesagt, es geht um die Deutsche Einheit, also sie weiter zu erhalten, und zu vertiefen, und eben um die Einigungsbemühungen der europäischen Völker, sprich um die europäische Einheit. Und noch eklatanteres Beispiel ist, daß es die fünfte Präambel, die sich mich mit der Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit Amerika definiert, daß die überhaupt erst 2001, nämlich nach 9/11, um genau zu sein, am dreizehnten als zusätzliche fünfte Präambel auf unsere Initiative vom Aufsichtsrat verabschiedet überhaupt erst eingeführt worden ist.

Fefe: Sie als Transatlantiker, schmerzt sie das, wenn sie mitkriegen, wie in Amerika Dinge nicht gut laufen?

MD: Ja.

Fefe: Also ist das noch immer ein Vorbild für sie?

MD: Wissen sie, meine Mutter hat mir gesagt, die größte Form der Liebe ist Kritik, und wenn ihnen etwas wichtig ist, wenn sie ein Land, das in seiner – sagen wir mal in seiner entschiedenen Freiheitlichkeit und nicht-feudalen Demokratieidee – schon für viele Dinge Vorbild ist, und ganz tolle Sachen einfach erreicht hat, und prägend ist, ich meine, wenn wir über die digitale Welt reden, die hätten wir wohl ohne Amerika nicht – dann schmerzt es besonders, wenn ich das Gefühl habe, da laufen Sachen schief, und es gibt da sehr viele Sachen, mit denen ich mich aktuell und auch historisch überhaupt nicht identifizieren kann, und die ich völlig falsch finde. Das fängt bei so ernsten Dingen wie der Todesstrafe an, die ich einer Demokratie fuer unwürdig halte, und nicht verstehen kann, warum das überhaupt denkbar ist, daß so eine glaubwürdige Demokratie wie Amerika die Todesstrafe hat, und es hört bei Banalitäten auf, daß die Klimaanlagen in Amerika mal zu kalt eingestellt sind.

FR: Der dritte Grundsatz, über den wir diskutierten, nämlich ueber die europäische Einheit, ist durchaus eine Sache, die keine Selbstverständlichkeit mehr zu sein scheint. Es gibt ja, gerade haben wir so ein bisschen die Situation, die darauf hinauslaufen zu scheint, zum einen entweder wir bauen einen europäischen Superstaat, um die Banken-Bailouts weiter zu finanzieren, der demokratisch nur so mäßig legitimiert wird, oder wir fallen zurück in nationalstaatliche Kleinstaaterei. Die die große Frage dabei ist ja, wie positioniert sich die öffentliche Meinung, wobei ihr Haus durchaus einen großen Einfluß darauf hat. Und wenn ich mir mal angucke was die Pläne so sind, wir werden regiert von einem Komittee der Finanzminister, so viel Macht haben wir eigentlich garnicht da reingetan in den letzten Wahlen, diese immer weitere Delegation von Macht führt ja eben schon zu Demokratiedefizit. Und nehmen wir mal an Herr Schäuble setzt sich durch, und es gibt eine Volksabstimmung, wie würde die Positionierung Ihres Hauses ablaufen?

Minute 01h00 bis 01h05

MD: Ich fürchte, ich muss Ihnen da eine Antwort geben, die sie nicht befriedigen kann, denn ich hab keine. Es ist vielleicht auch so eine Erscheinung der Politik und der Mediengesellschaft, daß jeder immer auf alles eine Antwort haben muß. Ich muß sagen, bei dieser so großen Schicksalsfrage habe ich eine gewiße demütige Sprachlosigkeit. Ich hab dafür keine Antwort. Ich habe dafür kein Rezept. Ich finde es wahnsinnig kompliziert, ich beneide keinen Politiker, der die Verantwortung hat, in so einer schicksalhaften Frage jetzt wirklich Entscheidungen zu treffen. Ich weiß, daß Entscheidungen getroffen werden müssen, weil Unentschiedenheit, Unklarheit ist die schlechteste aller Optionen, übrigens ganz besonders an den Kapitalmärkten, die hassen nichts so sehr wie Unentschiedenheit und Ambivalenz und Unklarheit. Aber es ist eben in der Tat fürchterlich schwer, hier jetzt die richtige Entscheidung zu treffen. Es scheint doch so, daß beide Extreme falsch sind.

Zu sagen, Solidarität heißt, es würde alles solange umverteilt, bis keiner mehr was hat, führt zu einer europäischen DDR, und wird nicht funktionieren, wird zu einer Verarmung Europas führen. Umgekehrt zu sagen: "Tja, ihr habt's halt nicht geschafft, Pech gehabt, dann machen wir eben alleine weiter" wird zu massiven Verwerfungen führen, möglicherweise zu einem Scheitern des Euro und der europäischen Idee. Und im Übrigen wahrscheinlich auch zu erheblichen wirtschaftlichen Verwerfungen in Deutschland. Denn wenn wir mit einer D-Mark arbeiten und die dermaßen aufwertet, daß keiner mehr deutsche Produkte kauft, dann wünsche ich dem Exportweltmeister Deutschland viel Spaß beim Exportieren. Dann wird hier die Arbeitslosigkeit in die Höhe schnellen und es wird eine sehr unruhige Situation in der Gesellschaft geben. Das ist ein hochgradig besorgniserregendes Thema. Ich glaube, daß man wird versuchen müssen, in einem sinnvollen Kompromiß ein Prinzip hochzuhalten, das bedeutet, daß in einer Marktwirtschaft es nicht so sein darf, daß die Gewinne privatisiert sind und die Verluste verstaatlicht.

FR: Was aber gerade der Fall ist … gerade ist es ja so, daß ein Großteil der angehäuften Schulden kommt eben aus den Banken-Bailouts, in denen ja genau die Verluste verstaatlicht werden …

MD: Jawoll.

FR: Am Ende ist das ja ein dramatisches Demokratiedefizit, ich kann mir nicht vorstellen, daß die Leute – also die Wähler – eine Regierung gewählt haben, die sowas beschließt, in dem Willen, daß sie eine Legislaturperiode später mit einer Billionen Euro mehr Schulden dastehen, die am Ende in den Taschen von den Banken gelandet sind.

Fefe: Aber das kann eh niemand zurückzahlen. Also am Ende ist es so eine unrealistische Summe. Ich denke, das ist der Grund, warum die Bevölkerung sich da nicht so betroffen fühlt, weil das so unreale Zahlen sind, daß niemand glaubt, er persönlich wird da irgendwann belangt werden.

MD: Das ist richtig. Die Zahlen sind so groß, daß sie entrücken. Sie sind nicht mehr greifbar, sie sind für einen normalen Menschen überhaupt nicht mehr verständlich. Sie sind dadurch auch gar nicht mehr bedrohlich und das ist gefährlich. Die Zahl verliert eigentlich ihre Aussagekraft. Aber wissen Sie, es ist so furchtbar einfach, hinterher schlauer gewesen zu sein. Ich meine klar, aus heutiger Sicht muß man sagen: "Wie konnte man eine europäische Einheitswährung zu schaffen, ohne eine gewisse Idee der politischen Union definiert und umgesetzt zu haben?". Natürlich war die Reihenfolge falsch. Man hätte erst die politische Union haben müssen und dann die gemeinsame Währung. Vermutlich hätte man aber ohne die gemeinsame Währung nie die politische Union bekommen und deswegen hat damals Kohl einfach gesagt: "Augen zu und durch." und hat diesen Euro durchgepaukt. Vielleicht, um der ganzen Sache noch einen Hauch optimistische Denkweise zu vermitteln, möglicherweise ist ja der alte Satz, daß in jeder Krise eine Chance liegt, auch diesmal wahr. Wenn die Krise nicht zur Totalkatastrophe führt, zur Apokalypse des Euro, dann kann sie ja vielleicht dazu führen, daß sie zumindest die Notwendigkeit einer politischen Union erkennbar macht und dann auch die Umsetzung einer politischen Union beschleunigt. Das wäre zumindest der positivste Ausgang, daß die Sache finanzarchitektonisch stabil gehalten werden kann und man gleichzeitig über eine politische Union definiert, was geht und was nicht und Spielregeln definiert, die nicht in Euro-Sozialismus führen, die aber auch nicht in eine europäische Entsolidarisierung führen, nach dem Motto "Der Stärkere setzt sich immer durch."

FR: Wir haben ja, wenn wir uns umgucken in Europa, im Zuge der Krise und auch schon vorher, ein Erstarken von nationalistischen ressentiment-geladenen Bewegungen. Im Nachbarland Niederlande haben wir eine sehr stark anti-muslimische Bewegung von Herrn Wilders, die zwar sehr israelfreundlich ist und sehr stark prosemtisch positioniert, aber auf der anderen Seite einen offenen Muslimenhass propagiert.

MD: Ungarn haben Sie auch die Regierung …

FR: Ungarn die Freikreuzler-Wiederauferstehung, sie haben in Griechenland diese Golden-Dawn-Leute. Es gab ja mal diesen ketzerischen Satz "Es wird in Deutschland nie eine rechtspopulistische Partei geben rechts der Bildzeitung." Wie sehen Sie diese Entwicklung.

Minute 01h05 bis 01h10

MD: Mit allergrößter Sorge. Weil das, was sie beschreiben das ist, das wirklich größte Problem. Das ist viel größer als alle finanzmathematischen Probleme und negativen wirtschaftlichen Entwicklungen, die vielleicht die Folge sein können. Der Nationalismus hat der Welt nur Unglück gebracht. Und deswegen belibt die europäische Idee von allen politischen Ideen der letzten hundert Jahre oder vielleicht letzten Jahrhunderte die wichtigste, wertvollste, schützenswerteste Idee. Die Renationalisierung in Europa wäre ein fatales Unglück, ich glaube, daß das Elend über die Menschen bringt – wirtschaftliches Elend und auch Unfrieden und Gewalt und Terrorismus und Krieg. Deswegen muß alles getan werden, das zu verhindern.

Man kann das an so vielen Beispielen in der Geschichte nachlesen, wo diese nationalistischen Entwicklungen eben Vorboten von großem Unglück waren. Deswegen ist es aber zugleich auch so schwer, jetzt die richtige Antwort zu finden, weil ist der jenige, der um jeden Preis die europäische Solidarität im Sinne der Maximalumverteilung propagiert, ist das wirklich der echte und wertvolle Freund Europas? Oder ist das vielleicht genau der Weg, der dann eben diesen Nationalismus als Gegenreaktion – "Wir lassen uns doch von denen nicht unser Geld aus der Tasche ziehen" – befördert? Und das finde ich, ist so wahnsinnig schwer, hier den richtigen Weg zu finden. Manchmal sind die größten Freunde einer Idee in Wahrheit ihre schlimmsten Feinde. Ich glaube, daß man hier so einen nüchternen, fairen Pragmatismus braucht, um diese Renationalisierung zu verhindern. Das aber, finde ich, muß das oberste Ziel sein. Wenn Deutschland glaubt, daß mit einem nationalen Sonderweg wieder was erreichen könne, dann kann ich nur sagen: "viel Vergnügen!", das geht sicher schief.

Fefe: Wir haben mit dem Herrn Schirrmacher geredet, der hat einen schönen Gedanken geäußert, den ich hier mal ansprechen möchte. Er meinte: Dadurch, daß die Lage so verfahren wirkt, ist das nicht ein Gefängnis, sondern eine Freiheit, weil man sagen kann, wenn die ganze finanzielle Frage eh unlösbar aussieht, dann können wir uns auf den humanistischen Teil beschränken und können sagen, "was wollen wir denn eigentlich?" Wenn wir sagen, diesen ganzen finanzmathematischen Bla, das versteht eh keiner und das kriegen wir eh nicht kruzfristig hin, also ist jetzt die große Freiheit da, der Moment, um da mal zu sagen, was wir eigentlich haben wollen.

MD: Wenn ich den Gedanken richtig verstehe, liegt er ziemlich nahe an dem, was ich vorhin meinte, als ich gesagt habe: Auch in dieser Krise kann eine Chance sein. Wir können, weil die materielle Dimension so verfahren ist, können wir die intellektuelle Dimension mit größerer Freiheit definieren und können daraus etwas ziehen, was uns langfristig auch weiterbringt. Das wäre der bestmögliche Fall. Und ich hoffe, daß wir diese Freiheit nutzen und daß das Demokraten tun, daß das weltoffene enschen tun und daß jetzt wirklich etwas definiert wird, daß den Weg zu mehr Europa, zu mehr Weltoffenheit, zu mehr Internationalität und damit auch zu mehr Vorteil durch diese Internationalität für jeden Einzelnen – und damit meine ich den Vorteil, daß man überall den Jeans in der gleichen Währung kaufen kann genauso, wie die große Frage der volkswirtschaftlichen Gesundheit der deutschen Gesellschaft. Das alles zu sichern und es nicht zuzulassen, daß diese Entwicklung, diese Fehlentwicklung, dazu führt, daß die falschen Demagogen einfache Lösungen und in sich geschlossene Weltbilder präsentieren, die Ressentiment, Vorurteil, Nationalismus, Isolation und am Ende dann Hass und Gewalt bewirken.

FR: Sie sind ja ein sehr bekennender Freund des Kapitalismus. Wenn man sich aber die Ursachen der Krise anguckt, dann haben wir da ganz klar Regulierungsmängel, ganz klar die …

MD: Wissen Sie was? Wir haben keine Regulierungsmängel, sondern wir haben Anstandsmängel, wir haben Selbstregulierungsmängel. Die Krise des Kapitalismus ist durch ein Mißverständnis, oder durch einen Mißbrauch des Kapitalismus zustande gekommen.

FR: Das klingt jetzt aber so ein bißchen so wie die Argumentation, daß die DDR ja eigentlich auch ein gutes System war, sie war nur falsch Implementiert.

MD: Nee, das glaube ich nicht. Da will ich es Ihnen schon sehr viel konkreter sagen. Ich sehe zwei Hauptursachen, die diese Bewegung in Gang gesetzt haben. Zum Einen: Ich kann es Ihnen nicht ersparen, aber auch die Politik hat gerade durch Regulierung eine ganz wesentliche Voraussetzung geschaffen.

Minute 01h10 bis 01h15

MD: Es war die amerikanische Regierung und zwar mehrere, die von Clinton, und weitergeführt auch von Bush, die nach der Idee "jeder Amerikaner muss ein Hausbesitzer sein" zu irrationalen Rahmenbedingungen, regulierten Rahmenbedingungen geführt hat, die es jedem ermöglicht haben, egal ob er es sich leisten konnte oder nicht, so viele Schulden aufzunehmen non-recourse, also ohne Verantwortung, um sich ein Haus zu kaufen, das er sich eigentlich nicht leisten kann. So entstand die Immobilienblase, deswegen ist das Ding irgendwann kollabiert und das war ein ganz wesentlicher Ursprung der Finanzkrise, das ist das eine. Das war erstmal ein Regulierungsversagen und ein Politikversagen.

Die zweite Ursache ist der Missbrauch marktwirtschaftlicher Freiheiten durch gierige Vertreter einer Finanzindustrie, die vorgetäuscht hat, noch den Regeln der Marktwirtschaft zu dienen, die aber im Grunde reine "Raubrittermodelle" bedient hat. Das war ein Exzess marktwirtschaftlicher Freiheit, das war ein Missbrauch der Freiheit, das war teilweise halbkriminelles, teilweise vollständig kriminelles Verhalten; Madoff und andere. Dadurch ist, sagen wir mal, eine ganze Industrie, der gesamte Bankensektor, die gesamte Investment-Private-Equity-Branche in Dauer-Verruf geraten. Sicher zu unrecht, weil die Mehrheit da immernoch ordentliche Sachen macht, aber es waren zu viele und, das muss man wirklich sagen, auch nicht nur Einzelfälle, es waren zu viele, die dieses System in diesem Sinne gekidnapped haben und es dadurch massiv beschädigt, vielleicht sogar zerstört haben. Das ist meine Analyse, also das ist jetzt nicht eine Verklärung, dass ich sag es war [...]. Und im Übrigen, mit der DDR, den Vergleich find ich sowieso irgendwie [...]. [Lachen]

FR: Gut, etwas polemisch, zugegeben. Aber wenn wir den, wenn wir mal die Ursachen angucken, dann ist durchaus eben eine der Ursachen, dass Deregulierung stattfand. Also dass Retailbanken plötzlich auch wieder Investmentbanken sein konnten. Und dass einfach am Ende die Leute, die die Finanzen regulieren sollten, also die die in den Finanzministerien saßen, aus der Industrie kamen und irgendwie die Dinge getan haben die ihre alten Buddies gerne wollten um ihre Raubrittermodelle durchzuziehen. Da würde ich schon sagen, dass klar ist, dass jetzt das Pendel wieder in die andere Richtung schwingen wird. Die Frage ist nur, wie sollte eine sinnvolle Regulierung aussehen, also wie ist das sinnvolle Verhältnis zwischen Staat und Freiheit, also Freiheit des Marktes muss ja offensichtlich neu verhandelt werden.

MD: Also mir hat neulich ein amerikanischer Bekannter erzählt, dass er an einem Abendessen teilnahm, in dem der amerikanische Präsident sich über die aktuelle Krise bei JP Morgan kundig machte, und dann zu der Conclusio kam "wenn der Vorstandsvorsitzende einer der größten und der erfolgreichsten Banken der Welt es nichtmal schafft, ein solches Systemversagen in seinem Haus zu verhindern, dann kann doch die eindeutige Konsequenz für die Politik nur sein, dann müssen wir durch eine massive Regulierung diese außer Kontrolle geratenen, nicht mehr kontrollierbaren Systeme verändern." Das ist erstmal sehr leicht nachvollziehbar, ein weiteres Beispiel, wo durch ein selbstverursachtes Fehlverhalten vielleicht ein ganzes System in Schieflage gebracht wird. Ich glaube nur, dass dieser Weg, dass diese Konsquenz am Ende falsch wäre weil wenn wir glauben, dass die Politik, dass der Regulierer, Bankgeschäfte besser betreibt und besser kontrolliert, als privatwirtschaftliche Mechanismen und Aktionäre, dann möchte ich einfach nur auf die Geschichte der großen Bankskandale, insbesondere in Deutschland verweisen. Das waren im Wesentlichen Landesbanken, die von Politikern beaufsichtigt und von Politikern reguliert wurden. Und die haben die größte Milliardenverbrennung – zumindest in Deutschland – bewirkt, und wie gesagt, auch auf das Beispiel Immobilienblase in Amerika, die ebenfalls politisch induziert ist.

Ich glaube dieses Hin- und Herschieben zwischen Privatwirtschaft und Politik und dieser Machtkampf, "jetzt müssen wir's mal diesen Kapitalistenschweinen wegnehmen und wir nehmen es als Staat mal wieder fest in die Hand", halte ich für ziemlich naiv und auch in der Konsequenz für gefährlich. Deswegen meine konkrete Antwort auf Ihre Frage: "Wie könnte es denn gehen, wenn das nicht der Weg ist?" und ich sehe da eigentlich nur eine letzte Chance, von der ich auch nicht weiß, ob sie funktioniert. Das wäre aber eine freiwillige Selbstregulierung eine freiwillige Selbstbeschränkung, eine freiwillige Neuorientierung der marktwirtschaftlichen Player. Und da habe ich einen ganz altmodischen Begriff parat. Und das ist der Begriff des ehrbaren Kaufmanns. Der Begriff ist ja Jahrhunderte alt und dem werden verschiedene Eigenschaften zugewiesen. Dazu gehört eben, daß es eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung gibt, desjenigen, der sich in einem marktwirtschaftlichen Kontext bewegt, daß es Gebote der Fairness, der Verlässlichkeit, der Gerechtigkeit gibt, die der Einzelne nicht verletzen darf. Dass es auch eine Kategorie von Anstand und Glaubwürdigkeit gibt. Das klingt jetzt alles sehr altmodisch, das klingt jetzt auch ein bißchen abstrakt und vage angesichts von Milliarden- und Billionensummen, die irgendwie abhanden gekommen sind.

Minute 01h15 bis 01h20

MD: Ich glaube aber, daß nur eine Selbstbesinnung der wirtschaftlichen Akteure, selbst Grenzen zu definieren und zu sagen, bestimmte Sachen gehören sich nicht und die machen wir nicht, und bestimmte Produkte und Derivate bieten wir einfach nicht an, weil klar ist, daß das irgendwie eine Art von Kettenbrief-Geschäftsmodell ist, das nicht seriös ist. Nur durch eine solche Verhaltensänderung der kapitalistischen Akteure kann größeres Unheil verhindert werden. Ob die eintritt, ob es diese Erkenntnis gibt oder ob man weiter versucht, in den Regulierungslücken quasi-kriminelle Geschäftsmodelle zu betreiben, das ist eine offene Frage. Ich kann nur sagen, diese Finanzkrise ist mit Sicherheit der letzte Warnschuss für die Akteure, die sich im marktwirtschaftlichen Geschehen nicht an die Regeln halten und nicht an die wichtigste Regel halten und die heißt Anstand und gesunder Menschenverstand. „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem ander'n zu“, ganz einfach.

FR: Das gibt mir gerade die Gelegenheit zu einer schönen Überleitung zu unserem letzten Thema, das wir ansprechen wollten. Claudius Seidl hat ja der Bild-Zeitung in der FAZ vorgeworfen, daß ja ihr tatsächlicher Mangel weder Kampagne oder irgendetwas ist, sondern ein Mangel an Anstand und Haltung. Also diese Debatte entzündete sich gerade wieder an dieser „Bild für alle“-Geschichte und der assoziierten Werbekampagne. Sie, als ja doch intellektuell relativ weit gebildeter Mensch, wie fühlt man sich mit sowas wie einer Bild-Zeitung im Haus?

MD: Also prachtvoll, und ich muss auch wirklich sagen – ganz davon abgesehen, daß es seit zwölf Jahren ein festes Ritual ist, mir in jedem Interview zu versuchen, einen kritischen Satz über die Bild-Zeitung zu entlocken, anglehnt an das berühmte Springer-Zitat "wenn ich morgens die Bild-Zeitung lese, leide ich wie ein Hund", das man ihm damals in der ZEIT entlockt hat; ich bin bisher in diese Falle noch nie getappt – ich kritisiere die Bild-Zeitung intern gern und mit Leidenschaft …

Fefe: Jetzt wäre eine gute Gelegenheit!

MD: …extern tue ich es nicht. Aber ich will Ihnen auch noch ein anderes Argument nennen, warum ich es besonders gerne nicht tue. Weil ich natürlich, bei allem was man, zu Recht, an jeder Zeitung und so auch an der Bild-Zeitung kritisieren kann, diese fast ritualhafte Bild-Polemik, ehrlich gesagt ein bisschen billig finde und intellektuell mittlerweile fast beleidigend. Ich meine, der Skandal der Bild-Zeitung ist doch nicht, dass sie Boulevard ist, sie ist eine Boulevard-Zeitung. Eine Boulevard-Zeitung lebt davon, daß sie sich möglichst breiten Leserschichten öffnet. Im Jahr 1900 haben zehn Prozent der Deutschen eine Zeitung gelesen, im Jahr 2000 waren es 73 Prozent und Sie können sicher sein, ein Großteil davon ist durch Produkte wie die Bild-Zeitung, vor allen Dingen durch die Bild-Zeitung selbst, überhaupt zum Lesen gekommen.

Wenn man das so macht, dann muss man das natürlich anders machen als die Neue Züricher Zeitung oder die Welt oder die FAZ. Das heißt, man muss es laut machen, mit großen Überschriften machen, man muss es in einer knappen Form machen, man muss es sehr verständlich tun. Das heißt, man muss vor allen Dingen verkürzen, emotionalisieren, personalisieren. Das sind eigentlich die drei wesentlichen Ingredienzen des Boulevard-Journalismus. Das ist noch nicht per se schlecht – es gibt ja diesen Bild-Spruch "wer etwas zu sagen hat macht keine langen Sätze" und manchmal ist es ganz gut, wenn man Dinge wirklich auf ihren Kern einkocht, dann sieht man nämlich, ob da noch Substanz bleibt, oder ob der Suppenwürfel ganz verdampft – aber es ist doch jedenfalls klar, dass Boulevard Boulevard ist und das zu kritisieren, finde ich irgendwie einen banalen Vorwurf.

FR: … das ist doch nicht die Kritik …

MD: Was ich viel interessanter finde – nur den Satz – oft doch, weil s/Sie sagen es ist so geschmacklos, so verkürzt, es ist so vereinfacht, usw. Natürlich ist eine große Überschrift in handbreite natürlich nicht so fein ziseliert wie eine schöne Serifen-Überschrift in der Neuen Züricher Zeitung. Aber nochmal, ich finde doch medienkritisch den viel interessanteren Ansatz, die Boulevardisierung der sogenannten Qualitätsmedien zu kritisieren. Das ist doch ein Problem. Warum kritisiert keiner die Titel großer Qualitätszeitschriften, die sich mit Tanja [sic] Gsell und ihren Kunstbusen beschäftigen. Da sind fünf Seiten in einer sehr angesehenen deutschen Qualitätszeitschrift drüber geschrieben worden. Warum regt sich keiner drüber auf, dass eine führende deutsche Nachrichtenagentur als Eilmeldung verbreitet, daß das Kind von Franz Beckenbauer zum ersten Mal heute mit einer Nanny alleine zu Hause ist? Also ich meine, das sind doch medienkritisch die viel interessanteren Themen. Die Boulevardisierung der sogenannten Qualitätsmedien.

FR: Naja aber…

Fefe: Also das lasse ich mir jetzt nicht vorwerfen, ich sag eh immer "das ehemalige Nachrichtenmagazin", wenn ich vom SPIEGEL rede.

Alle lachen.

FR: Nagut, aber der wichtigere Teil dabei ist ja… Ich sag mal, die inhaltliche Kritik… Eine Boulevard-Zeitung ist eine Boulevard-Zeitung, da müssen wir uns nicht drüber aufregen, wir sagen auch immer „Alternativlos“ ist ein Boulevard-Podcast, damit wir uns an bestimmte Standards nicht halten müssen und haben halt einfach den… Boulevard ist geschenkt.

Interessanter ist aber die Frage, dass ja gehäuft, gerade in der Bild-Zeitung Sachen auftreten, wo falsche Geschichten groß rausgebracht werden, wo Leute hinterher leiden und es dann doch sehr hart ist für die, eine Richtigstellung zu erzielen …

MD: Also das ist eine Aussage, die muss ich jetzt wirklich vehement bestreiten. Daß in der Bild-Zeitung Fehler passieren und Fehlberichterstattung, das ist richtig. Daß es mehr passiert, als in anderen Zeitungen, halte ich sogar für ausgesprochen falsch. Ich glaube, daß keine Zeitung in Deutschland so genau und so vorsichtig und so präzise recherchiert, wie die Bild-Zeitung, weil nämlich jeder Fehler, der in der Bild-Zeitung gemacht wird, überproportionales Echo findet und wahnsinnig bemerkt wird.

Minute 01h20 bis Ende

FR: …Eben, das ist ja genau das Problem…

MD: Und deswegen sind die ja besonders vorsichtig. Wir kennen die Beispiele, Bolzenschneider vor zehn Jahren, usw. Oder jetzt gerade die Sache mit dem falschen Foto, wofür sich Bild sofort entschuldigt hat und ist ein überhaupt nicht zu beschönigender, echter handwerklicher Fehler. Das passiert, aber sobald Bild was passiert, ist es eine riesen Story. Wenn das in der Süddeutschen oder in der FAZ oder im Hamburger Abendblatt oder irgendwo anders passiert, oder in der ARD oder im ZDF, da sagt man „naja, passiert halt mal“. Und da finde ich schon, wird irgendwie mit zweierlei Maß gemessen. Es ist halt, immer alles was Bild macht, fällt besonders auf. Und Bild macht halt bestimmte Sachen falsch und dann sind sie auch sehr wirkungsstark, wenn irgendwo Persönlichkeitsrechte von der Bild-Zeitung verletzt wird. Wenn irgendwo ein Faktum falsch zitiert wird oder falsch dargestellt wird, dann hat das besondere Wirkung. Und wenn Bild wehtut, dann tut Bild eben auch besonders weh.

Aber ich muss auch sagen, Bild tut auch sehr viel wirklich Gutes. Und auch beim Gutes tun ist Bild halt stärker als andere, wenn Sie mal gucken, was mit „Ein Herz für Kinder“ jedes Jahr an zweistelligen Millionen-Beträgen zusammengetragen wird. Wenn Sie gucken, was das Engagement der Bild-Zeitung auch für Kunst und Kultur bewirkt.

FR: Aber meinen Sie nicht, dass es durch den Boulevard-Anspruch nicht eher ein kulturelles Problem ist? Also dass halt einfach der Wille, bissig zu sein, der natürlich mit dem Willen, unterhaltsam zu sein, einhergeht. Was ich halt bei Ihnen höre, dass Sie schon sagen, dass sie davon ausgehen, dass die Zeitung, dadurch, dass sie ne größere Keule ist, eine größere Verantwortung hat…

MD: … ja, ist so…

FR: … also dass sie den Versuch unternimmt. Aber trotzdem halt, ich sag mal, es ja relativ frequent passiert, dass halt Sachen … Also mal Bild-Blog lesen, die ja eigentlich in fast jeder Ausgabe Sachen finden, die halt …

MD: … Ja, wir machen mal ein Neue Züricher Blog oder ein Süddeutsche-Blog und dann bin ich mir sicher …

FR: … ja, machen Sie mal, mich würde …

Fefe: Machen Sie mal Süddeutsche, die haben eh gerade den Krieg eröffnet.

MD: …dass quantitativ die Fehlerzahl höher ist. Also ich sag es nochmal ganz klar: Bild macht Fehler, aber Bild macht Fehler nicht absichtlich. Bild erfindet keine Geschichten, Bild fälscht keine Fakten, sondern versucht, wirklich wahrheitsgemäß zu berichten, aber natürlich die Dinge zuzuspitzen, zu emotionalisieren und sie so einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Und ich würde mir einfach etwas mehr Entspanntheit wünschen. Wir müssen nicht sagen, die Bild-Zeitung macht alles richtig, das wäre naiv und dumm und auch peinlich. Aber umgekehrt ist sozusagen dieser automatische Reflex, daß sich alle von der Empore des guten Geschmacks herablehnen und sagen: Guck mal, was diese Proleten auf dem Boulevard mal wieder für geschmacklose Sachen gemacht haben, finde ich eben als medienkritische Haltung unglaublich billig und fände es spannender, wenn wir uns auch einmal mit den Verfehlungen und Boulevardisierungstendenzen der Qualitätsmedien auseinandersetzen würden. Weil wenn es nämlich eine Bild-Zeitung gibt, aber da drum ganz viele Medien, die in sehr differenzierter Weise nach dem Warum und nach dem Wie und nach den Zwischentönen und den Hintergründen fragen, dann haben wir eine wunderbar ausgewogene Medienvielfalt. Wenn irgendwann alle so aussehen wie die Bild-Zeitung, dann wird es problematisch.

Fefe: Ärgert Sie das eigentlich, daß die „Welt“ weniger Leser hat, als die Bild?

MD: Ich würde mir wünschen, daß die Welt mindestens so viele Leser hat, wie die Bild-Zeitung. Aber es liegt in der Natur der Sache, dass sie es nicht haben kann, weil die Welt ist eine Zeitung, die sich letztlich an ein sehr elitäres Publikum wendet und das tut die Bild-Zeitung nicht. Und das kann man verachten, weil man elitär ist und sagt "wir wollen nur eine Zeitung für hochgebildete machen". Ich find es gut, dass es beides gibt.

FR: Ja, dann sind wir am Ende, Sie müssen, glaube ich, zum Flieger.

MD: Stimmt.

FR: Ja okay, dann vielen Dank für das Gespräch.

MD: Hat mir Spaß gemacht.

FR: Dankeschön. Dann vielen Dank fürs Zuhören und bis zum …

FR+Fefe: … nächsten Mal.