Alternativlos 20 — Transkript

Frank Rieger: Herzlich willkommen zu alternativlos, die Folge Numero 20 …

Fefe: … über den politischen Diskurs diesmal, und wir sind sehr stolz, einen besonderen Gast zu haben, diesmal, nämlich Herrn Schirrmacher von der FAZ.

Frank Schirrmacher: Hallo.

Frank Rieger: Guten Tag.

Frank Schirrmacher: Guten Tag.

Frank Rieger: Ja der politische Diskurs ist etwas, was Ihnen sehr lange schon am Herzen liegt, und der Verfall desselben, und deswegen wollten wir da heute mal ein bisschen darüber reden und auch mal ein bisschen Ausblick darauf nehmen, wie sich die Sache denn in Zukunft gestalten wird, mit dem Internet und der Beschleunigung, die durch das Internet passiert und den ganzen Effekten, die wir jetzt so in der letzten Zeit beobachten können. Wir haben ja da jetzt gerade so einen schönen Fall, nämlich diesen Staatstrojaner, anhand dessen man den Zustand des politischen Systems Bundesrepublik ganz hervorragend betrachten konnte …

Fefe: … und die Piratenpartei, das sind beides so Gelegenheiten.

Frank Rieger: Genau, und die Piratenpartei, da dachten wir, das ist doch mal die Gelegenheit, das doch mal zu debattieren.

Fefe: Wir fangen aber im historischen Überblick an.

Frank Rieger: Wie immer, genau!

Fefe: Ja, wenn man politischer Diskurs sagt, meint man so die legendären Bundestagsreden und Einrufe von Wehner und Willy Brandt und Schmidt und wir empfehlen sehr, sich da mal durch Youtube zu clicken — wir werde ein paar Videos verlinken – und wenn man sich diese Videos ansieht, dann kann man auf der einen Seite feststellen, dass sich der Duktus geändert hat. Die Leute haben früher mit mehr Gravitas geredet, haben sich mehr Zeit gelassen für ihre Sätze und haben eine andere Betonung gehabt. Aber man sieht auch meines Erachtens ganz gut, dass es einen anderen Respekt gab, vor Politikern, als heute. Also wenn jemand wie der Willy Brandt ne Rede gehalten hat, da gabs dann zwar auch Zwischenrufe, aber wenn die Presse den interviewt hat, dann haben die schon so 'ne Stufe tiefer gestanden, auch. Während heute gibt's da auch so'nen Krawalljournalismus, wo die dann regelrecht …

Frank Schirrmacher: Wobei, wobei Willy Brandt gerade so ein Fall ist, auch gerade hier in Berlin, der wurde schon ganz schön auseinandergenommen. Ich glaube der Respekt, den sehen wir jetzt in der Rückschau, also wir sehen jetzt, das was die Leute damals für selbstverständlich hielten, dass neben dieser Tagespolitik dort eine Empathie war, oder eine Überzeugung von der Sache, die man heute eher mit der Lupe suchen muss. Da ist Willy Brandt natürlich das Beispiel, aber Willy Brandt wurde sowas von fertig gemacht. Ich weiß noch eine Panoramasendung, die ich als Schüler sah, wo es um Willy Brandt ging, und danach konnten die Zuschauer diskutieren – also schon vor Internetzeiten – da weiß ich noch, wie einer anrief und sagte, dieser Mann gehört füsiliert, noch heute an die Wand gestellt, er hat die Deutschen verraten

Frank Rieger: Wegen den Ostverträgen

Frank Schirrmacher: Nein, weil er im zweiten Weltkrieg in Schweden gewesen ist, so war das damals.

Fefe: Ach du meine Güte!

Frank Schirrmacher: Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, der galt als Vaterlandsverräter, weil er auf der anderen Seite gewesen ist. Das ändert nichts daran, dass sich die Qualität geändert hat. Aber ich glaube, die Bösartigkeit aber war damals genauso, wie sie heute ist.

Frank Rieger: Also Sie meinen, den Respekt, den reden wir uns nur im Nachhinein ein?

Frank Schirrmacher: Ich würde mal so sagen, es gab — von den Medien sowieso nicht — Da gab es einen legendären SPIEGEL-Titel: „Willy Brandt: Das Denkmal bröckelt“, das wissen wir heute noch, das war nach dem Friedensnobelpreis, dass ihn das völlig fertig machte, dieser Titel. Aber es gab etwas anderes, das war, so banal das klingt, glaub ich mehr oder minder doch – mit ein paar Ausnahmen – eine Generation, und damit haben wir ja heute noch zu tun, die wußte, für die war die Bundesrepublik, nehmen sie mal jetzt das Jahr 1970, da war das Ende des zweiten Weltkrieges noch nicht so lange her, also 25 Jahre. Das ist jetzt wie 1984/1985. So nahe war das da. Also die haben sozusagen noch, diese Generation, hat das, was war, nie als was normatives gesehen, sondern als eine Anomalie, so glaube ich. Darum Herbert Wehner. Ich empfehle jedem: Es gibt ein Herbert Wehner Youtube-Video, das ich unglaublich finde. Da wird er etwas gefragt, was wir heute schon gar nicht mehr verstehen: nach Wahlen, wie er das sieht, die SPD hat schlecht abgeschnitten. Und da wird er von dem provozierenden Interviewer befragt, „das ist doch schlecht für sie usw.“, und darauf sagt er: „Das und das ist passiert und das ist gut für die Demokratie“. „Das ist gut.“ Da merkt man bei dieser Generation, dass sie noch immer das Gefühl haben, das Eis, auf dem wir uns bewegen ist sehr dünn, und wenigstens demokratische Parteien sind stark und nicht die anderen. Das sind solche Dinge, die – glaub ich – damals fast in der DNA waren und heute, natürlich ist viel länger – viel mehr Zeit [vergangen] – auch bei dieser Politikergeneration nicht mehr drin ist.

Frank Rieger: Also man muss ja sehen, damals war es ja so, es war die Generation, die Politiker waren ja alle noch im Krieg, die haben's ja alle erlebt, und für die war es eben nicht selbstverständlich. Weil eigentlich erst die jüngeren Politiker unter Kohl, für die [es] dann halt anfing, die Selbstverständlichkeit des Systems. Deren Sozialisierung in den 60ern, 70ern war, wo halt nicht mehr dieses „es kann sich auch jeden Tag wieder alles ändern“ drin war, sondern klar war, „ist halt für die Ewigkeit angelegt“, und dieses System Bundesrepublik wird in alle Ewigkeit so weiter perpetuiert.

Frank Schirrmacher: Das ist so ein Tip, den ich geben kann, das gilt für Literatur, Kunst und für Politik. Man muss sich immer ganz genau angucken, wer wie alt genau war, zwischen 1939 und 1945. Es ist ein großer Unterschied, ob jemand achtzehn war, oder vierzehn war. Also es ist ein großer Unterschied, ob man Heinrich Böll war, der bereits als Soldat in den Krieg zog, als Erwachsene, oder ob man Günther Grass war, der noch ein Kind war und erst im Laufe des Krieges halbwegs – sechzehn Jahre war er dann. Das gilt auch für Politik. Es ist ein Unterschied, ob man wie Willy Brandt – das gilt auch für die DDR, übrigens – ob man den Krieg erlebt hat, den Hitler erlebt hat, bereits im Erwachsenenstatus, oder ob man vierzehn war, ob man fünfzehn war oder ob man sechzehn war. Und das sehen sie auch bei Kohl. Kohl ist der jüngste in der ganzen Riege, der hat den Krieg nur noch als Junge erlebt. Die einzige wirkliche Erfahrung mit dem Krieg war faktisch, dass er als Hitlerjunge da nach München beordert wurde, um die Ruinen aufzuräumen. Und darum ist er auch der letzte in der gesamten Reihe, der hat gerade noch sagen können, weil sein Bruder gefallen ist und sein Vater den Krieg erlebt hat, und er daran natürlich das sah, hat gerade noch sagen können „Nie wieder Krieg“, während die anderen – wie Helmut Schmidt – von dem wir ja wissen, dass er sogar beim 20. Juli im Gerichtssaal saß, Richard von Weizsäcker , der an der Ostfront war, das ist nochmal ein ganz anderes Kaliber, oder Herbert Wehner …

Frank Rieger: … die waren schon politisch erwachsen zu dem Zeitpunkt …

Frank Schirrmacher: … die waren politsch erwachsen. Und dann hörte es plötzlich auf. Dann ist es plötzlich wie nie geschehen und dann ist es praktisch nur noch Rhetorik und das erleben wir jetzt ja in der Europadebatte, ist das Wort „Wir wollen nie wieder Krieg“, in dem Sinne, wie Kohl es noch verwendet hat, eigentlich noch überzeugend, oder nicht. Also für Herrn Rösler – offenbar – ist es kein Argument mehr, denn seine Europadebatte läuft jetzt ja ganz anders.

Fefe: Ich finde es ja faszinierend, dass die ganzen Aufrüstungssachen dann aber doch unter Kanzlern stattgefunden haben, die es eigentlich noch erlebt haben und die es hätten besser wissen können …

Frank Schirrmacher: … ja wobei …

Fefe: Gerade der Adenauer hat ja da üble Dinge gemacht.

Frank Schirrmacher: *lacht*

Fefe: und dem kann man wirklich nicht die politische Reife absprechen, während der Kriegsjahre, der hat das ja alles noch mit …

Frank Schirrmacher: Ja Adenauer ist, das muss man sich auch mal vorstellen, Adenauer ist wesentlich älter als Adolf Hitler, also der Bundeskanzler – ich weiß nicht, ob fünfzehn Jahre – der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland war älter als Hitler, also sozusagen fast schon eine Generation darüber, ging aufs Gymnasium in der Bismarck-Zeit. Das war der Mann, der dann erster Kanzler wurde. Wobei ich ja jetzt widersprechen würde, mit “Schlimmes gemacht“, sie haben ja keinen Krieg begonnen. Was sie gesagt haben und wovon sie überzeugt waren war, Hitler ist deshalb eine Gefahr gewesen, weil es keine – weil die anderen sich nicht gewehrt haben. Bei denen ging es ja bei der Wiederaufrüstung – da war ich auch noch nicht geboren, als das debattiert wurde – ging es ja um die Frage „wir müssen uns wehren können“. Das ist bis heute ungeklärt, ob das der richtige Weg war oder der falsche Weg war. Und auch bei Helmut Schmidt ging es darum, „Wir dürfen uns nie wieder von einem nicht-demokratischen System einschüchtern lassen“. Und bei Helmut Kohl. Punkt ist aber, der erste Krieg, den die Deutschen führten, wurde nicht von dieser Generation geführt, sondern dann von der pazifistischen Generation danach. Das darf man nicht vergessen, das war Joschka Fischer als Außenminister. Das ist ja ein wirklich interessanter Vorgang.

Frank Rieger: Die konnten dann eigentlich wieder.

Frank Schirrmacher: Die konnten wieder. Und die haben das dann auch schamlos instrumentalisiert, also „Nie wieder Auschwitz“ als Kriegsbegründung auf dem Balkan usw., das haben wir ja alles erlebt.

Fefe: Also das war ja immer so eine Sache, die ich nicht verstehen konnte, wie wir so schnell nach dem Krieg wieder eine Bundeswehr kriegen konnten. Weil, ich meine …

Frank Rieger: … das ist nur aus der Systemkonfrontation heraus zu verstehen.

Frank Schirrmacher: Absolut

Fefe: Ja, natürlich, aber …

Minuten 10:00 bis 15:00

Frank Rieger: … das kannst du halt nicht verstehen ohne Betrachtung dieser wahrgenommenen Bedrohung. Meine Bildung über die Bundesrepublik zu dieser Zeit kommt ja daher, dass ich – nach der Wende habe ich ja angefangen zu studieren – im Westen und hab dann meine Pausen zwischen den Seminaren draußen an der FU verbracht, im Publizistikarchiv und hab mir halt meine Geschichte der Bundesrepublik dadurch angelesen, da stehen halt diese ganzen Reihen mit Quick, die damals noch eine richtige Zeitung war, und Stern, die damals auch noch eine richtige Zeitung war und Spiegel usw. und man kann das da alles lesen, haptisch auf Papier. Da versteht man dann plötzlich, wie diese Bedrohung durch den Osten, wie gegenständlich die war und dass die erst so in den 70ern so in den Hintergrund fadete und die davor noch durchaus sehr plastisch war und es davor auch immer noch irgendwelche Dinge gab, wie Grenzzwischenfälle und Überläufer und Spionage und all sowas. Das war ja richtig Tagesthema, so Koreakrieg …

Frank Schirrmacher: Koreakrieg und Vietnamkrieg.

Frank Rieger: Koreakrieg und Vietnamkrieg ja.

Fefe: War das im Osten eigentlich genauso?

Frank Rieger: Ja.

Fefe: Also richtig auch Angst, dass der Westen jetzt kommen könnte.

Frank Rieger: Das war ja bis in die 80er hinein. Die Sowjetunion war ja der Meinung – mit Reagan dann – dass es einen Überfall geben würde.

Fefe: Naja gut, das war ja nun auch tatsächlich begründbar. Der Mann war ja nun– *Gelächter*

Frank Rieger: Das war ja diese Mad-Man-Strategie.

Frank Schirrmacher: Für meine Generation – ich bin in den 70ern aufs Gymnasium gekommen – waren so Sätze wie „Geh doch nach drüben!“ oder „Die Russen kommen“ schon grotesk. Das muß ich sagen, das sagten bestimmte Leute und man glaubte es nicht. Aber nochmal zu der Systemkonfrontation: Das ist ja genau was Frank Rieger sagt, ist ja genau der Punkt. Wir haben unglaublich Lebenslügen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, die noch alle gar nicht aufgearbeitet sind. Bereits am Nürnberger Kriegsverbrecherprozess, das kann man alles bei Albert Speer nachlesen, dachten – wohlgemerkt die Hauptangeklagten der Nazis dort –, sie kommen nochmal alle davon, weil es wird ja immer wieder berichtet, wie Göring triumphierend aus der Zeitung vorliest, dass jetzt die Russen und die Amerikaner Konflikte haben. Beim Koreakrieg war Speer überzeugt, dass er dann rauskommt, aus Spandau, usw. Und es sind ja auch viele alte Nazigeneräle, das wissen wir ja alles – Das heißt, diese Systemkonfrontation insgesamt war so stark, dass es sogar möglich schien, – es ist ja dann zum Glück nicht passiert – daß sogar diese Kriegsverbrecher nochmal eine Chance haben, in dieser Gesellschaft. Das war ja –

Frank Rieger: Na, hatten sie ja zum Teil auch, sowohl im Westen als auch im Osten.

Fefe: Gehlen sag ich nur.

Frank Schirrmacher: Ich meine jetzt die Nürnberger nur, die dann auch hingerichtet wurden. Aber jetzt nochmal zurück zu dieser Rhetorik. Wir wollten ja über politische Rhetorik reden. Ich habe ja und kann es auch nur empfehlen – da war ich noch zu klein – Willy Brandt erklärt den Deutschen die Ostverträge. Das haben Sie nicht erlebt! Ich hab's erlebt. Ich meine, jetzt klinge ich selber wie einer von denen. Ich weiß, dass der Hausmeister in unserer Schule permanent das Radio laufen hatte, über die Debatte im Bundestag. Das hatte so das Gefühl Zukunft Deutschlands, oder so. Und wenn man sich jetzt die Rede von Willy Brandt anguckt, dieser Satz, – also da kriege ich Gänsehaut, wenn ich den höre: „Es wird nichts aufgegeben, was nicht längst verspielt wurde.“ Wie er das auch sagt, das ist auch so groß, auch dieses Wort „verspielt wurde“ oder so ähnlich. Also in dem Sinne: ihr seid ja selber dran schuld. Also da muss ich sagen, kenn ich kein Äquivalent, also keinen Vergleich seither in der politischen Rhetorik.

Frank Rieger: Ich hatte ja nach Ihrem Hinweis, sich einmal ein paar von den alten Debatten und den großen Redenen anzugucken. Was mir da halt auffiel, ist, dass ich mich nicht erinnern kann, wann ich die letzte große Rede im Bundestag gehört habe, also in dem Sinne von Rede im Cicero-Sinne, also die eine richtige Rede ist. Also mit einem dramaturgischen Aufbau. Und irgendwie …

Frank Schirrmacher: Ist doch eigentlich eine Frechheit.

Frank Rieger: Irgendwie ist es immer dieses „Aber ja meine Damen und Herren, wir müssen uns ja darüber einig sein, dass.“ Also dieses ganze Gebabbel.

Frank Schirrmacher: Ist das nicht eine Frechheit? Das ist doch deren Auftrag!

Frank Rieger: Und die andere Frechheit, die mir in den letzten Tagen so auffiel: da sitzt halt niemand mehr. Also …

Fefe: Da habe ich einen wunderbaren Tweet gelesen: „Ja nehmt es den Leuten doch nicht übel, dass sie da nicht sind, denn es ist ja schließlich Mittwoch, und die Abgeordneten wollen ja am Wochenende zu Hause sein.“ Jawoll, so sieht's aus. Aber ich mein das verleiht einem auch das Gefühl, dass es nicht dringend ist, wenn man sich so eine Debatte ansieht. Ich meine, wir können ja froh sein, dass es inzwischen Phoenix gibt, den gab es ja auch nicht immer, und in Berlin gibt es im Kabelnetz Parlamentsfernsehen-Kanal, da kann man, wenn man will, den gucken, aber das ist wirklich deprimierend.

Frank Schirrmacher: Wobei Phoenix auch mittlerweile immer seltener überträgt.

Minuten 15:00 bis 20:00

Fefe: Aber wenn man dann einmal was sieht, sitzt da so gut wie nie jemand. Die ersten zwei Reihen sitzen voll, damit es jemand zum Applaudieren gibt, aber das Gefühl „Hier geht's gerade um etwas“ stellt sich nicht ein.

Frank Schirrmacher: Das ist der Punkt, dass es um etwas geht. Und da, meine letzte Erinnerung an eine große Rede war die von Richard von Weizsäcker vom 8. Mai, die habe ich auch ganz bewusst erlebt. Seitdem ist ja wirklich einiges geschehen, und ich erinnere mich ja auch nicht, ich meine wir hatten Kriegszustände, wir haben Armeen losgeschickt, wir hatten die Wiedervereinigung, wir hatten eine Euro-Krise, was auch immer. Ich erinner mich an überhaupt keine Rede. Und das finde ich, denken Sie an den Bundespräsidenten, den amtierenden vor allem. Von dem kenne ich überhaupt keine.

Frank Rieger: Hat der schon einmal eine gehalten?

Frank Schirrmacher: Ich weiß es nicht.

Fefe: Oh ja, oh ja. Das kann man überhaupt nicht aushalten. Der redet auch sehr langsam. Ich glaube, er versucht so zu simulieren, dass er mit Bedacht redet, aber wenn du das hörst, das hält man wirklich nicht aus.

Frank Schirrmacher: Da fragt man sich doch: wieso wollte er das werden? Weil, das ist ja das Amt. Das Amt ist ja mit Sprache ─ siehe Cicero. Wir sehen doch am Internet, was Sprache für eine Magie hat. Das ist ja unglaublich. Warum will er dann das Amt? Das ist ein ganz großes Rätsel. Ob das Disrespect ist, oder ob das Unfähigkeit ist. Ich weiß es nicht, es ist jedenfalls verheerend. Seit der Wiedervereinigung wartet jeder, erinnern Sie sich, wie es hieß: „Wir brauchen eine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede“?

Frank Rieger: Genau

Fefe: Das lustige ist ja, dass wir die auf Umwegen von Obama gekriegt haben dann. Es gab ja im Deutschland mehr Rückhalt für Obama als in den USA stellenweise.

Frank Rieger: Weil er reden kann.

Fefe: Ja, weil der einfach reden konnte. Der hat sich da hingestellt und ein paar Sätze gesagt. Das muss ja gar keine volle Rede sein, wir haben ja keine großen Ansprüche. Aber gelegentlich das Gefühl haben: „Liebe Landsleute, ich nehme es jetzt in die Hand. Das sind die Probleme, die werden wir jetzt angehen, und es steht hier viel auf dem Spiel. Daher gucken Sie sich das bitte an, es geht hier um was.“ Mehr will man doch gar nicht hören.

Frank Schirrmacher: Ich finde auch, man sollte klar machen, wir sind ja da gebrannte Kinder. Niemand erwartet ja jetzt Sportpalastreden. Niemand will hier Demagogie.

Frank Rieger: Demagogie haben wir im Bundestag ja gehabt am Mittwoch von Herrn Uhl.

Fefe: Das war aber nicht ganz freiwillig.

Frank Rieger: Gut vor allen Dingen war es amateuerhafte Demagogie. Muss man ja einmal so sagen. Also in meiner Historie, ich war zu DDR-Zeiten Agitator.

Fefe: Wobei, das muss man erklären für die Wessis. Das ist nicht unbedingt negativ besetzt, der Ausdruck „Agitator“. Erklär das doch einmal.

Frank Rieger: Der Agitator war in der Struktur im Osten zuständig dafür, dass die politische Information z.B. der Klasse gewährleistet ist. Und das heißt, du musst dann halt so etwas wie eine Wandzeitung machen mit den Themen des Tages.

Fefe: Eigentlich machen wir das ja immer noch jetzt gerade.

Frank Rieger: Aber zumindest hatten wir damals ein bisschen Anspruch daran, was die Qualität der Propaganda angeht. Und diese Sachen, die jetzt der Uhl da brachte, das war so etwas von amateurhaft, wo man denken würde, die haben da mehr Anspruch.

Frank Schirrmacher: Aber auch die Bösewichter sind Amateure geworden.

Fefe: Das zieht sich ja auch durch unsere Kritik. Wir haben uns ja damit abgefunden als Bürger, dass wir belogen werden, aber wir möchten glaubwürdig belogen werden.

Frank Rieger: Erzähl doch einmal die Geschichte mit dem Uhl jetzt.

Fefe: Es ging halt damit los, dass der seine Rede relativ frei gehalten hat, was im Bundestag wohl eher unüblich ist …

Frank Rieger: Was eigentlich eher lobenswert ist.

Fefe: Eigentlich ist es lobenswert, aber der hat sich halt ein paar mal vergriffen. Ein paar mal, kann man sagen: „gut, hat er sich versprochen.“ Aber es gibt im Bundestag erstens einen Live-Stream inzwischen, sehr lobenswert, Man kann also, auch wenn man nicht in Berlin wohnt, kann man sich diesen Stream angucken. Das haben beim CCC einige gemacht, als es um den Trojaner ging, weil wir dachten: So jetzt kommen hier die großen Gewehre aus dem Keller. Und es gibt danach ein Protokoll. Und was Insider schon immer wussten, dieses Protokoll wird also nicht live erstellt, und entspricht nicht unbedingt dem Gesagten, sondern das geht noch einmal durch die Büros von den jeweiligen Rednern.

Frank Rieger: Moment, es zuerst steno. Also es ist ja so: es gibt da zwei Sachen. Es gibt einmal die Reden, die vorher abgegeben werden können. Was dann manchmal heißt: „Die Rede wird zu Protokoll gegeben.“

Fefe: Das ist jetzt nicht gewesen. Das ist ein anderes Thema. Da sind wir auch. Furchtbare Sache.

Frank Rieger: Aber wenn sie halt gehalten wird, dann wird sie eben mitstenographiert.

Fefe: Aber diese Version landet eben nicht im Internet, und ist auch nicht der offizielle Record, sondern es gibt diesen Steganographischen Dienst. Entschuldigung. Der Kryptograph bricht durch mit mir. Es gibt den Stenographischen Dienst des Bundestages, der macht dieses Steno-Protokoll, aber gibt es dann dem jeweiligen Redner bzw. seinem Büro, und die können dann Fehler korrigieren. Aber in den Regeln steht ausdrücklich drin: es darf nicht sinnentstellend korrigiert werden. Also das darf man auch, aber dann braucht man eine Ausnahmegenehmigung des Präsidenten des Bundestages. Also was jetzt passiert ist, ist, dass der Uhl sich um Kopf und Kragen geredet, hat dann sehr knackige Sprüche abgesondert. Der eine war …

Frank Rieger: Die Sicherheitsbehörden regieren das Land.

Minuten 20:00 bis 25:00

Fefe: Genau. Also „Sicherheitsbehörden regieren das Land.“ Und „Es wäre ja tragisch, wenn dieses Land von Piraten und Chaoten aus dem Computerclub regiert würde.“ Und fing dann noch einmal an, dass die Sicherheitsabteilung, die ja unser Land regieren würden, die Sicherheitsbeamten, die seien ja gut geschult und würden das schon in Ordnung machen …. Er hat das aber ja so dargestellt, als wenn die Regierung Teil der Exekutive wäre, und quasi von den BKA-Beamten unser Land geleitet wird. Und das man kann jetzt sagen, war ein Versprecher oder nicht, aber das Steno-Protokoll hat es halt komplett geändert. Da stand dann drin nicht: „Wir werden regiert von Sicherheitsbeamten“, sondern „Wir haben Sicherheitsbeamte, die auf dieses und jenes achten.“

Frank Schirrmacher: Also wir sind der Sache auch nachgegangen, weil mich interessierte das, ob er, er hat mich ja auch in der Rede beleidigt für meinen Leitartikel, ob er das auch verändert hat, es war aber leider, – oder zum Glück – nicht der Fall. Man muss sagen, es sieht so aus, dass der Stenographische Dienst offenbar stillschweigend erkennbare Versprecher korrigiert. Also ob er das selber war, oder ob es der S.D. war ist ja egal. Es gibt immer noch Sigmund Freud „wie es spricht“, und dann ist das immer noch das Stenogramm der Seele, aber schon eine Sache.

Fefe: Worauf wir hinauswollten, ist, was die Reaktion war. Diese Manipulation hat eine deutlich größere Reaktion hervorgerufen als die eigentlichen Sachen, die er da gesagt hat, weil einem Großteil der Bevölkerung es eigentlich überhaupt nicht bewusst war, dass diese Protokolle nicht Protokolle in dem Sinne, wie wir sie benutzen, denn wenn man z.B. eine Mitarbeitersitzung macht, oder eine Vorstandssitzung in einem Unternehmen, und es gibt ein Protokoll, und man fälscht, was da drinsteht, das ist richtig strafbewährt. Das darf man nicht tun. Und das ist so derart, das ist was die Bevölkerung unter Protokoll versteht.

Frank Rieger: Und gerade die Nerds.

Fefe: Gerade die Nerds. Na klar. Und als die gesehen haben, dass diese Protokolle im Grunde eher so eine Art ich will nicht sagen Whitewash, aber da geht es halt nicht darum, konkret

Frank Rieger: Eine offizielle Geschichtsschreibung.

Fefe: Genau das ist die offizielle Geschichtsschreibung, ein sehr schöner Euphemismus. Sondern dass da eben korrigiert wird, das hat einen richtigen Aufschrei gegeben. Der Uhl war jetzt, sagtes Du, zwei Tage in Folge Trending topic auf Twitter.

Frank Schirrmacher: Ja was man ja auch verstehen kann, wenn man einfach. Also ich wusste das übrigens auch nicht. Ich geh davon aus, es ist für mich auch wichtig, weil man geht ja an alte Protokolle so ran, dass man auch versucht, so den Psychic Battle, also das psychische Schlachtfeld zu … Und das geht offenbar nicht. Also wenn die das immer so korrigieren. Es gibt natürlich legendäre Sachen, die in den Protokollen stehen, also Franz-Josef Strauß berühmte Äußerung, Todenhöfer, den er ja immer <Piep> Herr Hodentöter </Piep> nannte, das wurde nicht korrigiert. Dafür gab es derart Schlimmeres, Wehner. Wehner hatte eine permanente, weil wir auch von großen Rednern reden. Wehner war besessen von, ich will nicht sagen sexuellen Anspielungen, aber von pubertären sexualisierten Anspielungen. Da gibt's die übelsten, oder weiß ich nicht ob man das in solch seriösen Sendern sagen kann. Also ganz schlimm hat er dem armen von Dohnany mitgespielt, den er nicht mochte, weil er den für eitel und glatt hielt, und dann sagte er halt öfter, auch vor laufender Kamera, steht auch in seiner Biografie: „Jetzt geht der wieder <Piep> dohnanyieren </Piep>“ Das war natürlich jetzt nicht große Rede, sondern das war eher pubertär.

Frank Rieger: Okay. Noch so ein Detail, an das ich mich erinnern kann, dass früher noch so zu Zeiten, wo ich als Kind Westfernsehen geguckt habe, da kam es durchaus vor, dass Kindersendungen verschoben wurden, weil noch eine große Debatte im Bundestag stattfand.

Frank Schirrmacher: Genau. Die Kinderstunde. Das habe ich erlebt. Das war, wir waren entsetzt, wir wollten Kinderstunde sehen. Und es war immer nur schwarz-weiß. Es war auch immer nur eine Kamera-Einstellung. Ich weiß noch, wer da alles, Herr Katzer, und allso Leute, die heute niemand mehr kennt. Und wir fanden das jetzt auch nicht toll, es war also … Später hat man dann schon gemerkt, es gab so Schlüsselmomente, und da, also Franz-Josef Strauß und Herbert Wehner hat sich niemand entgehen lassen. Das waren wirklich vom Temperament, von der Risikobereitschaft natürlich ganz andere. Strauß war ein unglaublicher Redner. Ich glaube, …

Fefe: … Da gibt's auf Youtube übrigens auch ein paar Best-of-Videos.

Frank Rieger: Aber interessant fand ich eben genau diese Priorisierung. Heute würde niemand mehr das Sandmännchen wegen einer Bundestagsreden verschieben.

Minuten 25:00 bis 30:00

Frank Schirrmacher: Das ist ja auch, was ich mit Phoenix meine: Die Hierarchisierung, was nehmen wir wichtig, das war ja nicht das Sandmännchen, das ging ab 15 Uhr. Und stundenlang, manchmal auf beiden Sendern, das muss ja nicht so unbedingt sein, aber was hierarchisieren Medien? Was nehmen sie wichtig, was nehmen sie nicht wichtig? Was ist Schlagzeile? Das ist ja, was wir alle beim Öffentlich-Rechtlichen nicht verstehen, warum sie nicht um zwanzig Uhr fünfzehn, wenigstens ein Mal in der Woche ein politisches Magazin machen. Um zu sagen, das hat einen wirklichen Stellenwert in der Gesellschaft und nicht nur 'ne Talkshow oder so etwas. Und das ist etwas völlig, das ist jetzt eine Nische geworden, die Politik, das muss man so sehen, jedenfalls die Realpolitik. Und das zeigt, dass zumindest die medialen Systeme – nicht die Zeitungen, würde ich sagen, die machen das noch – die nicht so anerkennen. Der Lammert hat ja eine riesige Auseinandersetzung mit den öffentlich-Rechtlichen darüber weil sie den Bundestag nicht mehr übertragen. Jetzt kann man auch sagen, das will doch heute niemand mehr hören. Man kann aber auch sagen, vielleicht geht's auch nicht mehr …

Frank Rieger: Da gabs doch auch diese Äußerung von dem Merz, wie war denn das?

Frank Schirrmacher: Ja, Friedrich Merz, das habe ich damals sehr attackiert, da fiel ich fast vom Stuhl. Das muss man mal wirklich sagen. Ich glaube, die einflussreichste Sendung, leider, für den gesamten, für das Entstehen des Neoliberalismus, war die Sendung Sabine Christiansen. Die auch damals ein neues Format war. Viele werden sich daran erinnern, es waren auch immer die gleichen Gäste. Sie selber war ziemlich deutlich Partei. Und da gab es eben den Moment, wo Friedrich Merz … Es gab zwei Momente: der eine war bei der 100. Sendung, als der Bundespräsident Horst Köhler, als Gast dort hinging, und die gesamte Geschichtsschreibung dieser Sendung unterordnete: „Wissen Sie, das war bei Ihrer 50. Sendung, als das pasierte, und so weiter.“ Das war schon irre. Und dann Friedrich Merz, der sagte den legendären Satz: „Ihre Sendung ist wichtiger als die Reden im Deutschen Bundestag. Meinungsbildender.“ Und das ist schon, eine Zäsur gewesen.

Fefe: Es ist auch traurig, weil die Gäste ja immer auch so Lobby-Gestalten von der Neuen sozialen Marktwirtschaft und so waren. Also die haben ja da nicht einmal versucht, neutral da …

Frank Schirrmacher: Wenn Sie sich z. B. einmal so eine Sendung angucken, und auch dazuzählen, dass der Moderator ja auch bezahlt wird vom öffentlich-rechtlichen System, muss man sich auch immer einmal fragen, wer dort eigentlich nicht vom Staat bezahlt wird, von denen, die dort reden. Da bleiben meist nur Funktionäre übrig, oder Lobbyisten. Genau. Das ist eine ganz merkwürdige Verzerrung von Wirklichkeit.

Frank Rieger: Manchmal sind wir auch da.

Fefe: Selten genug.

Frank Schirrmacher: Über den Trojaner haben sie eben keine Talkshow gemacht. Ich meine, ich habe mit dem einen oder anderen geredet: „Warum macht ihr das nicht? Da kann man doch so viel dranhängen. Es geht ja nicht nur um den Trojaner, es geht doch um viel mehr.“ Und was mir dort geantwortet wurde, war eben erschütternd. Es war: „Quote“, „Es interessiert die Frauen nicht“, zum Beispiel, „Zu schwierig“. Solche Dinge.

Fefe: Die haben das ja versucht, als es um die Vorratsdatenspeicherung ging, erinner ich mich. Da ist der Lobo, Sascha Lobo ist da noch durch die Gegend gezogen und hat in Talkshows geredet. Also es gab schon Talkshows, wo wir halt waren, nur jetzt gerade nicht.

Frank Rieger: Naja, wir waren ja in so ein paar Talkrunden waren wir schon drin, aber was wir auch feststellen, das Niveau der Thematisierung in den Medien allgemein sich ja schon dramatisch verändert. Also die Zeitungen sind da durchaus noch eine löbliche Ausnahme, sofern sie nicht einfach nur DPA-Printout sind.

Fefe: Man tut sich ja auch keinen Gefallen, wenn man zu so einer Talkshow geht. Es kommt halt immer auf die Umstände an.

Frank Rieger: Naja, das ist halt eben die Frage. Aber mittlerweile ist dieses Format eben so verschlissen, dass es nur noch sehr wenige, die Phoenix-Runde z. B. kann man noch machen, weil es zumindest noch irgendeine Art von inhaltlichen politischen Anspruch dabei gibt. Aber bei vielen Sachen geht es ja nicht einmal mehr darum.

Fefe: Es geht nicht mehr um die Wahrheitsfindung. Auch bei dieser Phoenix-Runde war ich wirklich betroffen, dass der Moderator nicht an opportuner Stelle einfach mal nachgehakt hat.

Frank Schirrmacher: Was Sie bekommen, ist emotionales Kapital. Das haben Sie gesehen, dass durch zwei oder drei Talkshows die Piraten, es geht dabei gar nicht darum, was da gesagt wurde, sondern dass die Gesellschaft eine Emotion, ein Gefühl entwickelt für die Piraten. Das war die Anne-Will-Sendung und noch eine andere. Aber das andere, also die Fragen, die uns jetzt hier auch so betreffen. Also die Fragen: Wo sind die Antworten, wo sind die Fragen. Die könnten sie in Formaten ja lösen. Zum Beispiel gibt es hinter den Kulissen den Versuch, den ich su aber er ist gescheitert, den Chef der Bundesbank einmal ganz alleine zur Hauptsendezeit eine Stunde oder anderthalb Stunden hart zu befragen – nur ihn – über die Lage, die wir haben in der Eurozone.

Frank Rieger: Also: Was ist denn eigentlich los?

Frank Schirrmacher: Und den nächsten Tag wieder einen anderen, nur den.

Fefe: Das muss man aber live machen.

Frank Schirrmacher: Live, genau. Die BBC hat das Format „Hard Talk“, und die, die das wollten, haben sich damit nicht durchsetzen können bei der ARD, weil sie das nicht wollten. Und das ist das, das eine ist so eine Talkshow, die dafür sorgt, das man sagt, der ist sympathisch, der ist nicht sympathisch. Aber das wir gar nicht mehr durchstoßen auf die Fakten. Leute auch, wir wollen doch sehen, ob jemand. Es gibt eine legendäre, kann ich auch bei Youtube glaube ich abrufen, BBC-Sendung mit Wolfgang Schäuble, vor zwei oder drei Jahren, Hard Talk heißt die, der wird dort so hart angegangen, und am Ende kapiert man etwas. Und das fehlt bei uns halt total. Also ich kenne keine einzige Sendunge, wo es das gibt. Das wäre ja der Moment der Wahrheit.

Minuten 30:00 bis 35:00

Fefe: Ich glaube aber auch nicht, dass die BBC das heute noch etablieren könnte, sondern die Sendung gibt's es schon recht lange …

Frank Schirrmacher: … Stimmt.

Fefe: … Und wenn man heute, und das ist auch eine ganz andere Streitkultur, das kann ich auch jedem einmal empfehlen, der in England einmal zu Besuch ist. Da gibt es noch richtige, das ist auch ein Ritual, da gibt es eine richtige Befragung des Premierministers im Unterhaus, wo dann auch wirklich böse Fragen gestellt werden, und nicht solche Softbälle wie bei uns. Und da kann der dann auch nicht einfach einmal auf etwas anderes antworten, sondern muss dann auch zu dieser Frage Stellung nehmen. Und das ist dann auch vom Timing her sehr schnell. Und das würde ich mir auch bei uns wünschen, aber das ist eben – die Medien sind eben bei uns dazu übergegangen, dass die Leute damit durchkommen, wenn sie auf Fragen nicht antworten. Die können einfach eine andere Frage beantworten, das wird ihnen ja auch in Schulungen beigebracht, heutzutage, in Politschulungen, wie man in Talkshows oder bei Befragungen einfach die Fragen ignoriert und seine Agenda runtererzählt, und die Moderatoren lassen einen damit durchkommen, weil es eben heute Standard ist, und solange wir das nicht wegkriegen, sehe ich auch keine Besserung, ehrlich gesagt. Was soll denn da noch groß geschehen. Das auch mit dem Bundesbankpräsidenten, wenn man den da jetzt hinsetzt, das funktioniert ja auch nur, wenn man den damit nicht davon kommen lässt.

Frank Schirrmacher: Nein, das ist genau der Punkt. Da muss halt auf der Gegenseite jemand sitzen, der die Fragen stellt. Es darf halt nicht so sein wie es im öffentlich-rechtlichen System, die ich verteidige, zum Teil ist, dass in einem ZDF der Landesgruppenleiter eines Bundeslandes erst mit dem Ministerpräsidenten sich gutstellen muss, ehe er überhaupt zum Landeschef wird. Das sind Dinge, die sich im Laufe der Zeit ─ oder die Christiansen, die ja praktisch Mitspielerin war im politischen System. Ich glaube, dass das aber alles in dieser Krise, in der wir uns jetzt befinden, darum reden wir ja auch jetzt, warum reden wir über politische Rhetorik? Weil wir das Gefühl haben, irgendwie fehlt es an Diskurs, also es muss etwas erklärt werden, und dann können daraus Konsequenzen gezogen werden.

Frank Rieger: Aber es, ich meine, das was Fefe gerade sagte, ist ein natürlich wichtiger Punkt, dass nämlich die Qualität des Personals, also die Leute, die da sind, hat natürlich einen massiven Einfluss auf die Debatte. Und natürlich auch der Fakt, dass wir dieses Zu-Tode-Spinnen von Themen, dass das so normal geworden ist, also dass wir uns halt einfach daran gewöhnt haben, dass es keine richtigen Antworten gibt.: Hier Ole Schröder vorgestern im Bundestag.

Fefe: Ja, ein Musterbeispiel.

Frank Rieger: Ein Musterbeispiel von „Wir geben keine Antworten mehr, wir liefern nur noch irgendwie hohle Phrasen ab.“ Es gibt keine Recht mehr auf inhaltliche Aussage offenbar.

Frank Schirrmacher: Aber dann habe ich eine Frage: Vergessen wir einmal für ein paar Sekunden alles, was in der zweiten Hälfte von Guttenberg passiert ist. Alles einmal wegstreichen. Und auch nicht ihn als Witzfigur, sondern einfach nur so wie er war. Wir haben ja damals schon darüber geredet. Ich bin ja damals schon irre geworden daran. Es ging ja gar nicht jetzt um diese Politik, sondern es geht um einen Satz, der immer wieder kam: „Wenigstens einer, der Klartext redet.“ hieß es. „Wenigstens einer, der die Wahrheit sagt.“ Und das, ich rede jetzt nur vom ersten Teil dieser Karriere, das stimmte erkennbar einfach nicht. Also das war nicht nur, man musste nicht irgendwie kundig sein. Schon bei der Opel-Sache ist er ja nicht zurückgetreten. Das war ja gar nicht der „Hier stehe ich und kann nicht anders.“ Aber alle Medien, viele Medien, nicht alle, aber vor allen Dingen auch die Bevölkerung hat das Label entwickelt: Hier spricht einer Klartext, bei einem, der wahrscheinlich am wenigsten von allen Klartext geredet hat.

Frank Rieger: Aber war das nicht eher BILD, die dieses Label entwickelt hat?

Frank Schirrmacher: Nein, es haben so viele Leute …

Fefe: Es war wie so eine Echo-Kammer. Wenn man das einmal reingibt, verstärkt sich das.

Frank Rieger: Also mein Empfinden war ja eher, dass das die Springer-Medien waren …

Frank Schirrmacher: Stern, Spiegel Online, …

Frank Rieger: Die haben alle dieses Klartext-Nummer …

Frank Schirrmacher: Spiegel Online weiß ich noch heute, wie Spiegel Online, als er in Afghanistan war, schrieb: Er ist kälter und härter als Hillary Clinton. Und solche Dinge. Das haben wir alles einmal dokumentiert in der „Die Zeit“. Es geht mir ja gar nicht darum, dem Herrn noch einmal an den Karren zu fahren.

Frank Rieger: Das ist ein wichtiger Punkt, dieses Empfinden von Klartext bei jemandem, der nur eine andere Art von Sprechblasen absondert.

Fefe: Naja, ich hab das ja damals unter dem Aspekt gesehen, dass ich damals gerade auf Geschäftsreise in den USA war, gerade zurückkam, und das war exakt die Phrase, mit der der Bush seinen Wahlkampf betrieben hat, in beiden Wahlen, wo er gewählt wurde. Das war genau die Phrase.

Frank Rieger: Stimmt, in den USA war es ja genau dieses Straight-Talk-Ding.

Fefe: Es war genau dieses: „Ich bin ein Cowboy, ich habe zwar keine Ahnung, aber ich rede wenigstens Klartext.“ Das war genau dieses Ding, und ich glaube das haben die einfach kopiert damals.

Frank Schirrmacher: Aber wie kann das sein, das verstehe ich, aber wie kann es sein, dass jemand, der erkennbar keinen Klartext spricht, denn dass ist absolut definitiv sicher.

Fefe: Na der Bush doch auch nicht.

Minuten 35:00 bis 40:00

Frank Schirrmacher: Moment, dass der dann aber so wahrgenommen wird. Und das war nicht nur die BILD-Zeitung. Das ist eine Frage, ob nicht, um zu sagen, die Simulation von Straightness tatsächlich, ob das nicht reicht schon. Und das ist nämlich auch beunruhigend, weil man sieht, da ist eine Marktlücke für soetwas, und die kann ganz schnell gefüllt werden. Ich könnte das wirklich hier hundertfach belegen, dass diese These stimmt, bis hin zu heute-Journal-Interviews. „Ich bin einer, der dafür bekannt ist, dass er sagt, was“. Die ganze Sache mit dem Krieg. Das hieß „kriegsähnliche Zustände“ vorher, und dann „es ist vielleicht doch ein Krieg“ und so. Das ist nicht Klartext gewesen.

Frank Rieger: Diese Kriegsgeschichte war tatsächlich so ein Punkt, da kann ich mich auch noch dran erinnern. Das ist richtig, dass er zum erstenmal überhaupt von „Krieg“, das Wort „Krieg“ überhaupt in den Mund nahm, und er erst einmal noch das Offensichtliche sagte, und sozusagen …

Frank Schirrmacher: … er sagte erst „kriegsähnlich“ …

Frank Rieger: Jetzt hab ich's, was er tut, was er getan hat, war, er hat nur ein bisschen weniger Spin dareingetan. Also er hat sozusagen dadurch, dass er einen … Es gibt ja zu jeder Zeit diese Tabus in der Gesellschaft, wo alle wissen, worum's geht, und alle wissen, was los ist, aber sich nur am Rand die Leute trauen, es zu sagen. In unserer Zeit gibt's eine Menge Sachen davon. Krieg in Afghanistan war das erste, wo alle … jedem ist klar, das ist Krieg, nur die Politiker sagen das nicht so; es geht weiter mit der Eurokrise, mit Finanzkrise, mit Peak Oil … also alle wesentlichen großen Sachen unserer Zeit sind ja irgendwann einmal Tabus gewesen, also Sachen, die nicht öffentlich gesagt werden konnten. Und alles, was er getan hat, war, ein bisschen davon abzukratzen. Also ein bisschen hinzugehen zu: „Wir deckeln es jetzt einmal nicht ganz so dolle zu.“

Frank Schirrmacher: Ich will den Fall jetzt ja gar nicht vertiefen.

Frank Rieger: Aber ich finde ihn spannend, weil er irgendwie ein Hinweis ist, auf was kommen wird.

Frank Schirrmacher: Auf was kommen wird, das glaube ich nämlich auch. Nehmen wir noch einmal ganz kurz, ich weiß, es klingt sehr langweilig, die Opelsituation. Die kenne ich zufällig sehr genau, was da los war. Was war passiert? Die wollten diesen Opel retten, und der Bundeswirtschaftsminister sagt in diesem Gremium: „Ich müsste wahrscheinlich zurücktreten … ich kann das eigentlich nicht mittragen, ich müsste mir also wirklich überlegen, ob ich das weitermache.“ Und dann, es hören ungefähr zehn Leute von 50. Also es dringt noch nicht einmal durch. Und er tritt ja auch nicht zurück. Und dann geht eine Geschichte durch die Gesellschaft, in der es heißt: „Das ist deshalb ein aufrechter Mann, weil der das nicht mitmachen wollte.“

Fefe: Ist das nicht Krisen-PR? Das ist was ich mich dabei frage. Denn nehmen wir einmal an, ich bin der PR-Manager von Guttenberg, und der verplappert sich. Das ist doch genau der Spin, den ich da dran hänge, dass ich sage: „Seht mal, der Mann ist wenigstens ehrlich.“

Frank Schirrmacher: Nein, der hatte sich nicht verplappert. Das ist psychologisch, das hat gereicht.

Frank Rieger: Das nächste Level von Spin. Ich meine, wenn wir zurückgucken, wir hatten das ja schon einmal in einer vorigen Sendung ein bisschen gecovert, wo dieses massive Spinning herkam, es hat ja angefangen eigentlich mit Thatcher, die halt einfach ihre Politik in dicke Layer von Neuworten eingepackt hat. Und von Umbauen, von Konzepten, Kapern von Konzepten, Kapern von Worten. Und wozu das da geführt hat, ist, dass man an bestimmten Punkten heute keine Debatte mehr führen kann, wenn man überhaupt dieses Vokabular auch nur benutzt. Weil es halt nichtssagend ist und immer wieder umgedeutet werden kann. Und wir haben ja den Punkt erreicht, wo alle davon total genervt sind. Also selbst irgendwie so relativ honorige Personen wie Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die halt, wo man halt annimmt, dass sie eine gewisse Integrität zum Thema Bürgerrechte hat, hat im Bundestag in dieser Debatte zu diesem Thema effektiv nichts gesagt. Also effektiv hat sie eine Menge Dinge gesagt, die alle ganz schön klangen, …

Fefe: Und der Duktus war flammend und engagiert, aber inhaltlich hat sie nichts übertragen.

Frank Schirrmacher: Nur als kleiner Einschub: einen Tag später rief mich Gerhard Baum an, und der hat am Telefon eine bessere Rede gehalten als Leutheusser-Schnarrenberger.

Frank Rieger: Das glaube ich sofort. Der ist eben aus einer Generation, die noch richtige Reden halten konnte. Aber genau dieser Punkt, dass man halt nicht mehr die Wahrheit pur sagen kann, ich meine das ist auch der Grund, warum die Leute unsere Sendungen hören, ist ja, weil wir solchen Spin nicht betreiben, weil wir einfach nur sagen, was wir denken. Und genau dieses „Die Wahrheit sagen können“ das tritt mir auch immer bei irgendwelchen Vorträgen entgegen. Es kommen manchmal Leute zu mir und sagen: „Es ist aber gut, dass endlich einmal jemand die Wahrheit sagt.“ Und dann fängt es aber an, dass BILD genau dieses Ding kapert, also diese BILD-Werbung „Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht.“ ist ja genau wieder der nächste Spin-Dreh and dem Ding.

Frank Schirrmacher: Absolut. Das ist aber nicht nur BILD. Das war der Stern. Das sind viele, die da mitmachen. Das ist eine Marktlücke. Im Augenblick sitzen in dieser Marktlücke die Piraten. Die sind's ja auch. Das muss man ja sagen, aber man wird das jetzt genau, man muss da auch sehr aufpassen, beobachten. Die werden jetzt zu diesen Authentischen. Das passt genau zu dem Bild, das sie sich selbst geben, aber für die Mehrheit der Medien hat das gar nichts mit der Realität zu tun. Die brauchen das. Die brauchen das.

Minuten 40:00 bis 45:00

Frank Rieger: Das Label der Authentizität.

Frank Schirrmacher: Das brauchen sie, und sie brauchen das deshalb, weil sie es auch wieder zerstören wollen. Da muss man sich. Das Label der Authentizität ist nur wichtig, weil sie, das ist eine Medien-Logik, weil ja dann das Coole ist in der Dramaturgie, dass man irgendwann beweisen kann: nein, auch die nicht. Und dann stehen die Medien irgendwann wieder gut da. Das hat gar nichts mehr mit Realität zu tun, also oft nicht. Das ist etwas, wo ich auch fast warnen würde, dass das, dass man sich zu viel darauf einbildet, wenn Massenmedien einem nachrufen, wie authentisch man ist. Weil das Spiel ist noch einmal ein ganz anderes.

Fefe: Dann müssten die doch jetzt aber ständig in den Medien sein. Wieso sind sie es nicht?

Frank Schirrmacher: Sind sie faktisch schon.

Fefe: Liegt das an denen? Ich meine, dass die jetzt nicht in der Tagesschau befragt werden.

Frank Rieger: Dass die Piraten momentan noch nicht die große Medienoffensive schaffen, hat einfach eine Menge damit zu tun, dass sie es noch nicht handwerklich können. Das ist aber nichts, was irgendwie ein ernsthafter Hinderungsgrund ist.

Fefe: Also ich hab das ja ein paar Mal im Blog angesprochen, ich bekomm dann immer wütende Mails. Und eine der Hauptausreden ist, ja die fragen ja gar nicht bei uns an, und wenn sie einmal anfragen, dann ist es für dieses NDR-Ding, was dann als Satire endete.

Frank Schirrmacher: Also das wird sich jetzt dramatisch ändern, wenn es sich nicht schon geändert hat. Das ist jetzt noch auf der Ebene Mona Lisa und Länderreport, vielleicht einmal eine Talkshow. Aber diese Marktlücke, oder sagen wir, diese Planstelle ist frei, die muss jetzt besetzt werden. Die Piraten brauchen halt jetzt zwei, drei Figuren, die das tun, möglichst eine Frau, zwei Männer. Das ist ungefähr das Modell, wo es, muss man so sagen, wie Medien, TV funktioniert. Und dann wird das von selber kommen. Im Augenblick ist auch die Eurokrise auch zu stark, und die Piraten haben sich jetzt ja beim Trojaner – hätten sie wahrscheinlich schon jede Nachrichtensendung kapern können, wenn sie sich da irgendwie geäußert hätten, was sie ja aus irgendwelchen Gründen erst einmal weniger getan haben.

Frank Rieger: Also, ich denke ja, wir sind ja gerade so ein bisschen bei diesem Problemkreis „Politisches Personal“. Und ich denke, das ist auch momentan noch der größte Schwachpunkt der Piraten, dass sie erst einmal noch Leute rausbilden müssen, die sowohl strategisch denken können, als auch Charisma haben, und auch in den Medien arbeiten können. Das ist halt, ich würde sagen, das passiert halt einfach, wenn sie sich nicht zu sehr anstellen oder zerstreiten.

Fefe: Wenn sie solange durchhalten, passiert das von allein, ich glaube auch. Die Grünen hatten auch kein Charisma am Anfang. Dass die CDU Charisma hat, das will ja wohl auch niemand behaupten.

Frank Rieger: Dass die SPD mal zwischendurch charismatische Figuren hatte, da muss man auch bis zu Wehner zurück.

Fefe: Aber es ist doch traurig, dass der Schröder rückblickend da so fast schon eine Lichtfigur ist.

Frank Rieger: Der sah aber auch immer aus wie ein Präsident. Wie ein Kanzler. Aber mehr halt auch nicht. Aber interessant daran ist ja doch eben diese Anforderung, die wir ja auch implizit da transportieren, wenn wir jetzt unser Gespräch so reflektieren, an kompetente Politikdarstellung.

Frank Schirrmacher: Das wollte ich nämlich gerade fragen, reden wir …

Frank Rieger: Worüber wir gerade reden, ist ja eigentlich nicht Politik, sondern tatsächlich nur Politikdarstellung.

Fefe: Aber gibt's da überhaupt einen Unterschied?

Frank Rieger: Ja natürlich.

Frank Schirrmacher: Wollen Sie beide, das ist ja auch ein richtiger Fachbegriff auch, charismatische Herrschaft? Das ist ja etwas, was die Deutschen nicht wollten nach den Erfahrungen, und ich merke ja in uns allen, dass es eine Sehnsuch gibt. Wir haben ja auch ein paar Fälle schon beschrieben. Also die Merkel ist es nicht, aber wollen wir charismatische Herrschaft?

Frank Rieger: Also der Punkt ist, eigentlich wollen wir von der Politik ja doch ein bisschen mehr unterhalten werden, als sie es momentan tun. Also wenn wir jetzt das Gespräch der letzten dreiviertel Stunde zusammenfassen.

Fefe: Aber das ist doch der Fallback. Eigentlich willst Du doch, dass sie handeln. Aber wenn sie's nicht tun, dann wollen wir wenigstens unterhalten werden.

Frank Rieger: Wollen wir wirklich, dass sie handeln? Du hast doch immer dieses schöne Beispiel Belgien. Lass uns doch jetz einmal dieses hübsche Beispiel Belgien ausgraben.

Fefe: Ja Belgien hat seit fast anderthalb Jahren keine Regierung, sondern da wird halt durch solche Interimszwischenlösungen, die im Grunde auch keine Befugnisse haben, groß Gesetze zu ändern, sondern alles, was die machen können, ist, dafür zu sorgen, dass die Gehälter ausgezahlt werden für den öffentlichen Dienst, und die Steuern eingetrieben werden. Und das machen die eben, und Belgien geht's nicht schlechter damit. Und deswegen habe ich ursprünglich als humorige Anekdote immer einmal angebracht, und meinte, vielleicht wäre das auch für uns ein Modell. Aber inzwischen muss man wirklich sagen, wenn man vergleicht, dass die Eurozone in einer existentiellen Krise ist, und die ganzen Länder alle am Abnippeln sind, dass Belgien da vergleichsweise deutlich besser schlägt als Länder, die jetzt blinden Aktionismus gemacht haben wie, sagen wir, Spanien oder Irland. Und auch in Belgien gab es jetzt eine Bankprivatisierung. Also es ist jetzt nicht so, dass man auf Notfälle nicht reagieren könnte.

Minuten 45:00 bis 50:00

Frank Schirrmacher: Einer unserer Korrespondenten, Dirk Schümer, den ich sehr bewundere, Europa-Korrespondent, der kennt ganz Europa, der sagt genau das gleiche. Der hat immer gesagt, es geht doch super ohne Regierung. Der kennt Belgien, er hat den Fall Dutroux damals recherchiert, der kennt auch die ganzen Abgründe dort. Er sagt, es geht doch. Ich bin da jetzt nicht so sicher, dass wir das so toll fänden, wenn das bei uns so wär. Vielleicht ist es ja auch schon so. Das können wir im Moment nicht … Ich glaube aber, dass das genau die Fragen sind, die nach dieser charismatischen Herrschaft rufen, dass man sagt: Okay, wir wollen Performance. Und diese Performance muss irgendetwas sein.

Frank Rieger: Also Show?

Frank Schirrmacher: Ja, Show ist es auch schon ehrlich gestanden, wenn es nicht so cool klingt, doch ein bisschen Sinn für den Ernst der Lage. Also es geht ja hier darum, dieses System, die Frau Merkel ist damals 1990 in den Westen angekommen mit dem Gefühl: ein überlegenes System, das ja auch die Rationalität auf seiner Seite hat. Wie muss sich das eigentlich anfühlen nach 20 Jahren, wenn man sieht: das scheitert.

Fefe: „Ich hab's vor die Wand gefahren.“

Frank Schirrmacher: Genau. Und ich bin mit dabei.

Fefe: Es ist ja nicht von allein gescheitert, sondern die Merkel saß am Steuer.

Frank Schirrmacher: Ja eben, und ein paar andere vorher auch. Das ist doch ein Moment, wo eine ganze Gesellschaft … Das ist ja auch das, was ich so vermisse. Wir sagen: Fukushima ist explodiert, und Tsunami, und so weiter. Das ist ja viel dramatischer. Das ist ja nicht ein Tsunami. Sondern das ist ja so, als hätte man die ganze Mathematik, sozusagen, die zu einem Atomkraftwerk führt, falsch gemacht. Als würde man plötzlich sehen, die ganzen wissenschaftlichen Grundlagen stimmen nicht. So wirkt es im Augenblick, und das artikuliert niemand, sondern alle tun noch so. Sie sagt das ja in jeder Talkshow, immer diesen Satz: „In kontrollierten Schritten.“ Sie tun ja alle so, das ist die letzte rhetorische Zuflucht, die sie haben. Kontrolle.

Frank Rieger: Also den Kontrollverlust nicht zuzugeben.

Frank Schirrmacher: Genau. Das ist das was immer sagt: „Ja, wir machen das deshalb so, weil wir wollen das in kleinen kontrollierten Schritten.“ Und was ja jeder weiß, dass das gerade nicht der Fall ist.

Fefe: Das ist doch, was der Schröder schon gebracht hat: er hat doch schon gesagt, er macht jetzt hier die Politik der ruhigen Hand, und was war das andere, der kleinen Schritte. Das ist doch dasselbe.

Frank Rieger: Aber da gab's keine Krise.

Fefe: Natürlich gab's da Krise. Krise gibt's doch immer, und wenn's die nicht gibt, dann wird sie herbeigeredet.

Frank Rieger: Nene, der Unterschied ist ein anderer, nämlich die Sache mit diesem Kontrollverlust. Also das Nichteingestehen des Kontrollverlusts ist, der ja nun so evident ist, dass ihn nun eigentlich niemand mehr wegdiskutieren kann.

Frank Schirrmacher: Ja. Es wäre doch einmal interessant, darüber mit Wissenschaftlern zu reden, wenn die plötzlich merken, und so scheint mir die Situation, ein Experiment: Wir haben ein Experiment am Laufen, und merken während des Experiments, dass unsere ganzen Grundlagen nicht stimmen. Sie ist ja Wissenschaftlerin. Was sagt dann ein Wissenschaftler? Leute, die dabei waren, erzählen mir, einer der größten Schocks für sie war bei der ersten Finanzkrise (Lehman), als sie zum ersten Mal, das war für viele, die dabei waren, wohl ein Schock, merkte … Da war sie umringt von all diesen Leuten: Bafin, Ackerman, Deutsche Bank, alle.

Fefe: Und die wussten es auch alle nicht.

Frank Schirrmacher: Ja, das war der Moment, das ist wirklich. Ich würde das wirklich… das muss man echt hochhängen. Plötzlich stehen sie auch gerade so einer Frau, die ja aus einem anderen System auch kam, und dieses System hat sich unseres sich ja auch immer als funktionsfähig dargestellt. Plötzlich sehen sie, dass die Ingenieure des Systems nicht mehr wissen, … die Maschinen nicht mehr bedienen können!

Frank Rieger: Eigentlich ist Fukushima tatsächlich irgendwie die Schablone.

Frank Schirrmacher: Ich würde sogar noch weitergehen. Fukushima nicht nur mit Tsunami, sondern auch mit gleichzeitigem Fehler in der gesamten Berechnung des physikalischen Prozesses… Das ist ein… Und darum, so erklär ich mir übrigens auch, warum Fukushima, das ist ein Paradigma da gewesen, da so schnell Handlungsfähigkeit gezeigt worden ist.

Frank Rieger: Eigentlich so, ah, verstehe: De facto war Fukushima der politische Archetyp für die Situation.

Frank Schirrmacher: Ja natürlich. Ackermann redete doch schon vorher von Kernschmelze. Das ist ja ein, das ganze Modell steht ja. Und jetzt …

Frank Rieger: Und deswegen mussten sie Handlungs, und da waren die Atomkraftwrerke abzuschalten war halt der Preis dafür, das politische Handlungsfähigkeit demonstriert wird.

Frank Schirrmacher: Und ich kann jetzt nur, wenn ich einen Satz dazu noch sagen darf, ich glaube es gibt viel weniger Geheimnisse in der Politik, als man glaubt; das meiste ist öffentlich, aber ich hab die letzten zwei Jahre dafür benutzt, jeden, dessen ich habhaft werden konnte, aus diesem Personal, zu fragen: Was geht eigentlich vor? Und was wird geschehen. Und ich kann hier zu Protokoll geben, dass es niemand beantworten kann. Und ich habe, glaube ich, mit allen geredet.

Frank Rieger: Also, was uns ja ein bisschen zu dieser Frage bringt: Was sind denn eigentlich die Handlungsmotivationen von Politikern?

Fefe: Moment: einen Aspekt möchte ich noch ansprechen. Also ich habe diverse Freunde und Kollegen in anderen EU-Ländern. Und eine Sache, die ich immer wieder von denen höre, ist, dass deren Politik sich fast vollständig an der deutschen orientiert, und das geht bis in Details wie, wie teuer jetzt ein Arzneimittel werden darf. Die warten ab, bis die Deutschen einen Preis festlegen, und machen das dann. Und aus dem Winkel betrachtet, erscheint mir auch plötzlich das als ein sehr hohes Gut, zumindest den Anschein zu wahren, als wisse man, was man tue. Und in kleinen Schritten Aktivismus zu machen, weil … es geht gar nicht mehr nur um das eigene Volk, das diese Einsicht nicht haben darf, dass im Grunde gerade keiner weiß, was passiert. Sondern da ist auch noch die ganze EU um uns herum, die auch plötzlich Panik kriegen könnte, wenn sie merken, wir wissen schon nicht mehr, was hier los ist.

Minuten 50:00 bis 55:00

Frank Rieger: Ja wir haben de facto als Deutsche, muss man ja mal so sagen, gerade die Verantwortung für Europa am Hals …

Fefe: Ja aber das geht noch weiter, das ist nicht nur eine Platitüde, wenn ich das sage, sondern es ist tatsächlich so bis in die Niederungen der Verordnungen in den jeweiligen Ländern.

Frank Rieger: Ich meine, umso schlimmer ist es ja, dass wir mit diesem Personal grade in dieser Situation sind. Also vielleicht ist es ja immer so aber …

Frank Schirrmacher: Ja wahrscheinlich haben das auch frühere Zeiten so empfunden, dass es auch kein gutes Personal war und … wobei ich einen fundamentalen Unterschied zu der Vergangenheit ziehe – selbst zu Lehman – ziehe, also was Sie da sagen mit den anderen europäischen Ländern stimmt, glaube ich schon, die wissen ja auch alle, dass wir eigentlich die Kontrolle nicht haben aber Macht, die pure Macht kann ja Kontrolle sein. Also Hauptsache, ich habe Macht – und das hat ja Deutschland – dann ist das schon Kontrolle. Was das neue ist, und das ist etwas, was ich … für mich ist das die … wie soll man das beschreiben, ohne jetzt wieder als Apokalyptiker zu gelten …

Fefe: Ach das können Sie bei uns ruhig sein…
*Lachen*

Fefe: …hat unser Publikum sonst gar keine Probleme damit.

Frank Schirrmacher: … ist das hier auf dem Sender erlaubt.

Frank Rieger: Ist überhaupt kein Problem, hier können Sie gerne so viel apokalypten, wie Sie möchten.

Frank Schirrmacher: Okay. Es ist folgendes und das kann man datieren: Die Frage ist doch immer, warum haben die nicht … gleich bei Griechenland gesagt, das geht so nicht? Das ist ja die Frage, warum haben die so lang gewartet. Und dann ist ja die Antwort: Wir können nicht mehr offen reden, weil wir Finanzmärkte beeinflussen. Wir müssen eigentlich immer um die Ecke denken und das sagen die ja auch wirklich. Das ist wirklich der … Weiter gedacht, und dem Satz würden die noch nicht mal widersprechen, heißt es: Wir müssen die Unwahrheit sagen, um nicht zu sagen: Lügen, weil wir nicht die Finanzmärkte, also das, was sie erwarten, was Finanzmärkte tun könnten, zu beeinflussen. Die Erwartung einer Erwartung einer Erwartung. Das ist die Regel jetzt, in der ökologischen und politischen Diskussion seit zwei Jahren. Das heißt es ist wirklich Lüge. Also moralisch legitimiert damit, dass man sagt, ja wir wollen ja nicht jetzt dass irgendwie, wasweissich, irgendwelche Investment-Banker jetzt damit wieder ein Spiel beginnen. Aber faktisch ist es eine wirklich unhaltbare Situation.

Fefe: Wir haben eine Vorsendung mit einem Spekulanten gemacht, oder sagen wir mal Trader. *RÄUSPER* Und der hat gesagt: Ach wissen Sie, das haben wir doch alles schon eingepreist. Das heißt, dieses Argument ist …

Frank Rieger: … zu allem. Also interessanterweise zu allem sagt er …

Fefe: … dieses Argument ist noch nicht mal stichhaltig, das ist … die Griechische Tragödie an der Situation, das ist noch nicht mal stichhaltig, weil die Märkte das schon längst vorhergesehen haben und es schon eingepreist haben.

Frank Schirrmacher: und vor allen Dingen: Das ist doch der Unterschied zwischen Reden und Machen und Politik, ja da muss man halt, wenn man ein Faktum schafft und nicht nur von Erwartungen ausgeht, dann wird man halt sehen, was passiert. Und dass Politik jetzt zeigt, dass sie das nicht kann, sondern so in diesem unwahrhaftigen Gerede bei sich selber bleibt, das ist ein wirkliches Drama. Die hätten wahrscheinlich noch nicht mal den Bundestag richtig informiert über alles das, wenn sie nicht gezwungen worden wären, weil sie einfach, mit dem Argument – was ja vielleicht auch nur ein Scheinargument ist – wir beeinflussen irgendwelche Märkte. Und ich glaube darüber wird mal, wenn dieser ganze Pulverdampf mal verzogen ist, wird man noch ganz schön nachdenken, was hier passiert ist.

Frank Rieger: Aber aus Ihrer Erfahrung mit diesen Menschen, also ich bin auch so'n bisschen … was motiviert die denn, also was treibt die denn zum Handeln, also die Politiker?

Frank Schirrmacher: Ich möchte ja jetzt hier nicht so Bashing und sowas … da gibt sich ja auch jeder natürlich anders. Ich kann folgendes sagen, was … über mich, was ich gelernt habe. Und es ist noch gar nicht so lange her, dass ich es gelernt habe und ich bin ja nicht politischer Journalist, ich sehe das immer aus so einer kulturellen Perspektive. Ich hatte immer eine Sache völlig verinnerlicht, die war so: Dass ich dachte, ein Politiker will irgendwie gut dastehen vor der Geschichte, das war mein Ausgangspunkt.

Frank Rieger: Denkt man ja so.

Frank Schirrmacher: Der will nicht in sechs Jahren oder in zehn Jahren dastehen als der, der wirklich hier die große Katastrophe … und das revidiere ich jetzt. Und zwar deshalb, weil ich sehe, dass es ihnen gar nicht passiert. Es wird nie jemand verantwortlich gemacht. Wer wird verantwortlich gemacht für den Zustand der Rente? Da wissen wir, das hätte man in den neunziger Jahren bereits demographisch und so weiter … das wäre die Regierung Kohl. Niemand. Wer ist verantwortlich für den Maastricht-Vertrag? Wer hat die falschen Anreize gesetzt? Es wird nie jemand zur Verantwortung … im Gegenteil, die Leute treten doch alle in Talkshows auf und sind …

Fefe: Experten.

Frank Schirrmacher: Experten. Selbst der große Helmut Schmidt, der uns einiges eingebrockt hat an Staatsverschuldung. Und das, als ich das revidierte, also mir klarmachte: Nein, das ist eben nicht so. Es geht mehr um die Echtzeit, als um irgendwie das Urteil der Geschichte, das ist wie das Urteil des jüngsten Gerichts. Da glaube ich, ich kann jetzt nicht sagen, was die antreibt im Einzelnen aber ich glaube, dass das das Gefährlichste ist in Politik. Dass das verlorengegangen ist.

Minuten 55:00 bis 60:00

Frank Rieger: Früher dachte man aber eigentlich doch dass so ein Politiker, wenn man jetzt so ins alte Rom guckt zum Beispiel, da war es doch so, dass ein Politiker im Wesentlichen angefangen hat, für die Nachwelt zu arbeiten. Selbst amerikanische Präsidenten haben ja meistens so den zweiten Teil ihrer zweiten Amtszeit damit verbracht, sich irgendwie als Wohltäter hinzustellen, um der Nachwelt im … ich meine selbst Reagan, selbst Reagan ist ja tatsächlich, kann man sagen, in den Augen vieler Amerikaner immer noch der totale Held obwohl er … Wenn man sich diese Zeit anguckt …

Fefe: ja da gibt's keinen rationalen …

Frank Rieger: Genau!

Fefe: … aber der Clinton hat lustigerweise …

Frank Rieger: … moment …

Fefe: … da gibt's ein sehr schönes Beispiel, der Clinton hat ein paar völlig unhaltbare Umweltschutzgesetze in den letzten Tagen seiner Amtszeit gemacht, von denen er genau wusste, dass die sofort kassiert werden von den Republikanern. Also von dieser Art von Gesetzgebung.

Frank Schirrmacher: Ja, und Begnadigungen.

Frank Rieger: Gibts das bei deutschen Politikern nicht mehr? Arbeiten die nicht mehr für ihr Ansehen in der Nachwelt?

Frank Schirrmacher: Also, man kann sowas ja nicht verallgemeinern. Kohl hat ganz viel Energie darauf noch gelegt, der war ja auch sehr historisch, die Frage ist ja immer … wenn man die moderne Kommunikation durchschaut, ist ja auch immer die Frage, was ist denn diese Nachwelt? Ich glaube, dass sich das wirklich geändert hat. Ist das Wikipedia, oder ist das Google, der Google-Treffer Nummer 175, wo steht, der hat eine tolle Bundestagsdebatte, Bundestagsrede gehalten? Das ist ja wirklich immer die Frage. Ist die Nachwelt die im Jahre 2020 oder die im Jahre 2030? Ich glaube, hier hat eine wirkliche Relativierung eingesetzt und die merken auch, dass die Belohnung gar nicht so groß ist, wie sie dachten. Ich glaube, das sind ganz, ganz …

Frank Rieger: Liegt das vielleicht auch an dieser Kollektivierung? Wir haben ja gesagt, dass wir offensichtlich aus unserer Geschichte heraus mehr kollektive, langsame Entscheidungen, Konsenzprozesse bevorzugen in der Politik und weniger die Verdienste einzelner Politiker. Ist es nicht vielleicht so, dass die Herausbildung dieser Prozesse, dieses „Die Fraktion hat entschieden“ und nicht „Der Einpeitscher hat irgendwie das durchgebracht und kann sich dafür den Orden an die Brust heften“ …

Frank Schirrmacher: Der Kanzler ist ja viel stärker geworden als in der Vergangenheit, muss man wirklich sagen, das sehen Sie bei der Merkel ganz deutlich, innerhalb der Fraktion. Schauen Sie sich mal an, wie der Helmut Schmidt immer vorgeführt wurde, oder der Willy Brandt vorgeführt wurde, das war ja unglaublich. Wenn Sie mal den Begriff Nachwelt übersetzen in einen ökonomischen Begriff, hat man die Antwort eigentlich ganz schnell, und dann sieht man die Gesellschaft sehr deutlich. Nachwelt könnte man auch genau bestimmen in diesen ganzen Fragen der Staatsverschuldung, das ist doch genau der Punkt: Was muten wir unseren Nachkommen zu? Welche Schulden? Welche Belastungen und so weiter. Und die Antwort der Gesellschaft, der Politik lautete: Für die Gegenwart alles, die Nachwelt ist egal. Und dann gab es ein paar — das muß man wirklich sagen: die Grünen an der Spitze —, die erstmal über die Ökologie das Nachwelt-Thema ganz neu bestellt haben. Wollen wir wirklich Generationen verseuchen?

Frank Rieger: „Wir haben den Planeten nur geborgt.“

Frank Schirrmacher: Ja, damit fing das an. Das war im Grunde ein progressiver Prozess. Während aber die reale Politik tatsächlich … man muß wirklich nur Staatsverschuldung sagen … für uns ist Nachwelt, so wie sie sich darstellt, eine Nachwelt, die für uns bezahlt. Das ist das was ist … und das finde ich in der Politik. Ich kann eine kurze Geschichte erzählen, die sich mir wahnsinnig eingeprägt hat, und das ist eben alte Bundesrepublik, so bin ich großgeworden. Ich hatte mal als Journalist, noch am Anfang, so 90er Jahre, war ich mal dabei als Berichterstatter beim Treffen von Mitterand, Helmut Kohl und Ernst Jünger – diesem Schriftsteller – in Wilflingen, bei dem zuhause. In dem Raum befanden sich dann, das war wirklich toll, nicht Mitterand, Kohl, Jünger und ich, und Übersetzer. Und dann fing Mitterand und Jünger an, völlig apokalyptisch zu reden. Was wird im 21. Jahrhundert passieren. Das war am 20. Juli 1993, weiß ich heute noch. Und dann fing Jünger an, der ja auch ein Apokalyptiker [war]: Das wird unangenehm werden, die Menschen werden die Technik nicht in den Griff bekommen, die Titanen, und so weiter. Mitterand fing an, aus dem Stehgreif zu sagen, das war auch irre, aus dem Stehgreif, wirklich, wie oft welche Reiche im 20. Jahrhundert zusammengebrochen waren, also Russland soundso oft. Das hatte er alles in Petto. Das war auch interessant zu sehen, dass das eben nicht nur einmal … das war richtig apokalyptisch. Und Kohl saß mit einer kleinen Espressotasse gegenüber, ich beobachtete ihn genau und ich sah, dass ihm total mulmig wurde bei diesem Gespräch. Und dann hielt er's nicht mehr aus. Und jetzt haben sie die Bundesrepublik, er unterbrach das Gespräch und brüllte so rein (Pfälzer Dialekt:) Ei, isch bin ganz optimistisch (Ende Dialekt) und dann war das Gespräch zu ende, mit diesem Satz. *Gelächter*

Minuten 60:00 bis 65:00

Frank Schirrmacher: Da haben sie den Franzosen und diesen Schriftsteller mit dieser ganzen Sensibilität auch für Krisen und dann haben sie dieses andere, dieses ur-bundesrepublikanische …

Fefe: Trampel.

Frank Rieger: Struktureller Optimismus.

Frank Schirrmacher: Genau! Wir lassen uns unsere Laune nicht verderben. Und das ist ein Kennzeichen der alten Republik gewesen. Und ich glaube, das ist total weg. Wir sind jetzt in dieser Übergangsphase, wo man noch nicht weiß, können wir in dieser Krise noch immer so weitermachen wie bisher oder nicht. Diese Kohl'sche optimistische Grundhaltung gegnüber den Dingen – Optimismus war ja nur ein Kampfbegriff – das ist vorbei.

Frank Rieger: Aber das heißt, wenn wir's mal zusammenfassen, jetzt verallgemeinern wir mal wieder unzulässig, aber sonst kann man ja nicht reden: Ein Politiker interessiert sich nicht mehr so sehr für die Nachwelt, meine Theorie ist unter anderem, weil er individuell weniger wichtig geworden ist, in der Wahrnehmung …

Fefe: Noch nie, doch? Ist nicht der Punkt, dass sie sich bisher – außer in Ausnahmefällen – für die Nachwelt interessiert haben?

Frank Schirrmacher: Nein, das würde ich nicht sagen.

Frank Rieger: Ne, das war früher schon anders. Spätestens die Grünen sind tatsächlich mit dem „Wir kümmern uns um die Nachwelt“ wieder …

Fefe: Na, das meine ich mit der Ausnahme …

Frank Schirrmacher: Nein, davor schon. Das war ja auch schlimm! Hitler hat sich leider viel zu sehr für die Nachwelt interessiert.
*Gelächter*

Frank Rieger: Na, auch die SPD, hier Wehner und Co. mit den …

Frank Schirrmacher: Total!

Frank Rieger: … dieses ganze Konzept der sozialen Marktwirtschaft ist ja eben auf die Ewigkeit angelegt. Dieser Ewigkeitsanspruch von politischem Konzept und ökonomischen System, der dann von den Neocons halt zerbrochen wurde …

Frank Schirrmacher: Ich glaube, die kriegen kein Benefit, wenn sie heute an die Nachwelt denken.

Frank Rieger: Aber andersrum heißt es aber auch, dass sie nicht erwarten, dass sie irgendjemand zur Verantwortung zieht. Dass niemand hinkommt und sagt, „Dafür dass ihr gerade Europa so tief in den Sumpf geritten habt, geht's jetzt einfach mal gerade vor irgendein Gericht.“

Fefe: Da gibts ja auch keine Präzedenzfälle für.

Frank Rieger: Naja, es gibt schon Präzedenzfälle, wir haben schon ein paar Diktatoren, die vor Gericht gegangen sind.

Fefe: Naja, Diktator ist ja noch was anderes als der Gutachter, der einen Fehler gemacht hat.

Frank Rieger: Die Frage ist aber durchaus interessant: Wir haben diesen Präzedenzfall, dass wir diesen internationalen Strafgerichtshof haben, die zumindest in wirklich richtig extremen Fällen, irgendwelche Diktatoren vor Gericht stellen. Natürlich kann man sagen: Politiker können keine Politik machen, wenn er erwarten muss, dass er dafür zur Verantwortung gezogen wird. Aber vielleicht, wenn wir uns mal das Ausmaß des Schadens angucken, was wir gerade haben, wäre es eben tatsächlich an der Zeit zu sagen, dass es irgendeine Art zumindest moralischer Verurteilungsinstanz geben muss …

Frank Schirrmacher: Das mit dem Gerichtshof geht mir zu weit, muss ich sagen.

Frank Rieger: Deswegen ja moralische Verurteilungsinstanz.

Frank Schirrmacher: Es gibt ja einen Punkt, in unserer Gesellschaft was am besten funktioniert, das ist moralische … also die Tabuisierung, dass man sagt: „Dieser Mensch ist kein Gesprächspartner mehr, der hat echt uns in den Schlamassel reingeritten“. Das ist etwas, was sie dann auch natürlich stört. Ich rede nicht von Staatsgerichtshof, aber nehmen sie die EnBW-Sache in Baden-Württemberg. Das ist natürlich ein Skandal sondergleichen und Mappus müsste sich dafür rechtfertigen. Aber sie werden natürlich niemals ein Gesamtsystem … ich würde nicht hier in das Horn blasen, das sind verantwortungslose Leute, die Merkel und alle diese Leute, das ist gar nicht der Punkt. Die sind in einem Konflikt zwischen diesem Machterhalt, auch diesem Gefühl „wenn wir weg sind, dann wird's noch schlimmer“, die sind aber nicht irgendwelche … die meinen es schon. Die denken schon, dass sie das Beste geben, das sie geben können.

Fefe: Das bezweifel ich auch gar nicht.

Frank Rieger: Das bezweifel ich tatsächlich auch nicht. Zumindest die Politiker, die ich getroffen habe, bei denen hatte ich zumindest das Gefühl, dass sie nach dem Machterhalt – was ihre primäre Motivation ist – durchaus eben noch manchmal ans Land denken.

Frank Schirrmacher: Das stimmt auch. Aber die sind ja auch noch da, die Wähler.

Fefe: Jetzt haben wir doch noch Optimismus in der Sendung.

Frank Rieger: Wir sind in der Mitte der Sendung, das ändern wir schon noch.

Frank Schirrmacher: Sie sind doch diejenigen, die den Benefit verteilen. Und wir sind diejenigen, die anerkennen, ob ein Politiker für 20 Jahre denkt, oder nur für zwei Monate. Und dann kann man ja sehen, wie die Leute entscheiden. Als Steinbrück seine Sache sagte …

Frank Rieger: Aber das letzte mal, dass jemand sagte, „wir denken jetzt mal langfristig“, war es der Rentenbetrug. Das letzte mal, das jemand gesagt hat, „wir müssen jetzt mal richtig langfristig denken“, kam dann diese Riesterrente raus – mit den dazugehörigen Umschaufelungen von noch mehr Geld von unten nach oben.

Minuten 65:00 bis 70:00

Fefe: Lustigerweise würde ich auch nicht übereinstimmen, dass niemand der Schuldige ist, rückblickend, für diese Rentenproblematik, denn wenn die Presse mal jemanden braucht, dann ist es immer der Blüm, weil der sich hingestellt hat und gesagt hat: „Eure Renten sind sicher.“ Und der wird dann immer aus dem Keller geholt, wenn wir jetzt einmal einen Schuldigen brauchen.

Frank Schirrmacher: Also was die Rentenproblematik angeht, glaube ich, dass die Schuldigen schon die Familienpolitik der Regierung Kohl ist, soweit man das überhaupt so sagen kann, weil es hatte ja schon sehr viel mit den Dingen der 1970er Jahre zu tun. Hätte man damals die Leute drauf vorbereitet. Und auch diese ganze Frage „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“. Damals war ja noch dieses Vorbild, diese Kernfamilie, hätte sich vielleicht schon viel geändert. Aber ich möchte noch einen Punkt ansprechen, weil wir ja, das muss man ja auch noch einmal betonen, dass ich auch genau wie Frank Rieger wirklich glaube, also die Politiker, die ich kenne, sind wirklich … Das kommt immer gut an: „Die glauben alle an nix!“ Nein, die glauben schon alle an etwas, und sie bemühen sich schon auch, aber die neue Situation, in der wir uns befinden, die Bundesrepublik Deutschland unserer Generation unserer Eltern, Großeltern, Urgroßeltern, kennen nur gebrochene Lebensläufe, also es ist immer etwas passiert: Krise, Inflation, Krieg. Und in Geschichtsbüchern lernen wir das. Der Unterschied zu all diesen Dingen in der Vergangenheit ist, dass alle Krisen, die bisher passiert sind, immer von jungen Gesellschaften erlebt worden sind.

Frank Rieger: Also „jung“ im demografischen Sinne.

Frank Schirrmacher: „Demografisch jung“. Das heißt die Mehrheit der Gesellschaft, selbst wenn im Krieg ganze Jahrgänge kaputt gegangen sind, getötet wurden, die Mehrheit der Gesellschaft hatte immer noch das subjektive Gefühl: „Ich hab noch ganz viel Zeit, nach dieser Krise das zu reparieren.“ Was ein ganz großer Unterschied ist, wenn — wie heute — wenn wir diese Krise bekommen; ich glaube, sie beginnt in Kürze mit Inflation und ähnlichem, die Mehrheit eben schon älter ist, älter als 45 und 50, und nicht mehr das Gefühl hat: „Ich habe noch subjektiv viel Zeit, ich kann mein Leben noch reparieren.“ Das wird das eigentliche Problem sein, dass wir eine ganze, quantitativ, wahrscheinlich sogar die größte Gruppe der Bevölkerung haben, die denkt: „Ich habe nicht mehr genug Zeit.“ Selbst nach dem Zweiten Weltkrieg war schon in kurzer Zeit demografisch es so, dass sie eine mehr oder minder junge Gesellschaft hatten, die sagte: „Okay, ich bin jetzt 25 oder 30, genau.“ Jetzt haben wir statistisch 49- bis 55-Jährige und ein Drittel über 60-Jährige, wenn die Krise kommt. Und da sehe ich das eigentlich Irre, was passiert.

Fefe: Sie hatten doch so eine Studie, die Sie da immer erwähnt haben, die aussagt, genau erzählen Sie doch einmal …

Frank Schirrmacher: Sie meinen die vom Max-Planck-Institut?

Fefe: Ja.

Frank Schirrmacher: Das ist auch gegen diese ganzen Medien-Augenwischerei. Es wird überall behauptet, Ursula von der Leyen sagte es eben auch noch einmal in einer Sendung: Niemals waren die Alten so solidarisch mit den Jungen wie heute. Das stimmt so nicht. Diese Studie zeigt, das hängt einzig und allein davon ab, ob diese Alten noch Kinder oder Enkelkinder haben. Wenn das signifikant nicht mehr der Fall ist, sinken die Zustimmungsraten, z.B. bei der Frage „Soll es keine Studiengebühren geben?“ oder „Soll BaFöG erhöht werden?“ oder „Soll jungen Familien geholfen werden?“ um bis zu 80 Prozent. Das heißt der Zeithorizont einer alternden Gesellschaft verengt sich, vor allen Dingen dann, wenn das auch, also nicht notwendigerweise, ich will niemandem etwas unterstellen, aber es sieht man viel, verengt sich immer mehr, so dass am Ende noch übrig bleiben „15 bis 20 Jahre, die ich noch lebe, und alles andere ist mir egal“. Wenn das passiert, zusammen mit der Krise, und die ja auch noch alle wählen, das kommt ja hinzu, das sind ja die Mehrheit der Wähler, dann kriegen wir hier echt ein Problem. Und wer das geringschätzt oder verhöhnt oder so, erkennt nicht die Dynamik demografischer Prozesse bei soetwas. Das ist doch klar: wenn ich jetzt 70 bin, oder die Mehrheit der Gesellschaft ist älter als 50, und jetzt kommt ein Projekt, eine richtige Vision: „Wir reißen uns jetzt zusammen, und in 40 Jahren oder in 30 Jahren geht es der Jugend wieder gut, und wir haben eine stabile …“ Wer macht da noch mit?

Fefe: Wir haben eine Perspektive. Also das interessante daran finde ich ja auch, wenn wir jetzt sagen: „Der Zeithorizont ist, sagen wir, 15 Jahre, oder lassen wir's 20 sein.“ Der Horizont, über den ich entscheide, der muss ja noch einmal signifikant kürzer als das sein, denn ich will ja auch selber noch einen Vorteil daraus ziehen.

Frank Schirrmacher: Ganz genau.

Fefe: Das heißt, das müssen eher so zehn Jahre sein, in denen effektiver Gewinn zu machen ist, und wenn wir jetzt so eine Krise haben wie die Europa-Krise, die in zehn Jahren eben nicht zu machen ist, dann zeichnet sich ab, dass es da einfach auch keine Lösung geben wird.

Minuten 70:00 bis 75:00

Frank Rieger: Naja, ist die Frage, also ich meine, meine Theorie gerade zu diesem, zu diesem: „Wir nehmen jetzt mal noch ne Billion, noch zwei oder so auf“, ist ja, dass es auf eine Währungsreform zulaufen muss. Also, dass es einfach keine andere Möglichkeit gibt, als einfach zu sagen: „Wir müssen irgendwe diese, diese Währung … ja, halbieren, die Schulden halbieren. Irgendeine Art von Möglichkeit finden, diesen Berg wegzuradieren.“ Interessanterweise, wenn man sich jetzt die Struktur anguckt, wenn die jetzt anfangen tatsächlich das Geld nicht mehr durch Leihen bei den Banken zu drucken, sondern durch direktes Drucken über die EZB, dann können sie es tatsächlich tun. Weil dann bricht nicht das ganze System zusammen, weil das Geld von jemandem geborgt ist, sondern es ist halt nur gedrucktes Geld. Naja … das ist halt …

Fefe: Naja, das ist auch jetzt schon so, nur dass halt die Banken die Profite abgreifen dürfen.

Frank Rieger: Ja, naja, nee. Der Punkt ist halt, wenn du jetzt ne Währungsreform machen würdest, ne große, und sagen würdest: du halbierst halt zum Beispiel alles oder du invalidierst eine bestimmte Mengen an Krediten zum Beispiel oder so. Dann hätte das massive Aftershocks. Also da würde ne Menge passieren an Sachen, dass plötzlich, keine Ahnung, irgendwelche Rentenfonds nicht mehr funktionieren und sowas. Wenn aber der größte Teil des Geldes sowieso irgendwie EZB gedruckt EZB ausgegeben und wieder an die EZB zurückgegeben …

Fefe: Dann kannste einfach wegstreichen.

Frank Rieger: … dann kannste einfach wegstreichen. Ich glaube, dass wir sowas sehen werden. Dass es halt ne Notwendigkeit geben wird, weil dieses, alles was jetzt passiert, zu sagen: „Die Staaten müssen mehr sparen, die haben zu viel Geld ausgegeben“, also diese Rethorik die jetzt gerade passiert, die nicht sagt wo das Geld hingegangen ist, also zu den Banken. Das kann nur noch ne Übergangsphase sein, also so'n gewisses Geplänkel, dass wir dann schon dahinkommen, dass es radikale Schnitte geben wird, die möglicherweise auch große Teile der Bevölkerung benachteiligen, weil die große Frage bei so ner Krise ist ja immer: wer profitiert hinterher davon?

Frank Schirrmacher: Ganz genau.

Frank Rieger: Also wer sozusagen, wer setzte die Regeln wie's danach aussieht. Und da sind z.B. zum Beispiel auch die Währungsreformen am Anfang der Bundesrepuplik interessant. Da gibts ja echte Abgründe. Du erinnerst dich doch an die Geschichte mit diesen Hypotheken, wo dann halt ne Menge Leute halt einfach benachteiltigt waren, deswegen weil sie dann plötzlich auf Hypotheken, die nicht …

Fefe: Jaja.

Frank Rieger: … abgewertet wurden und so … und so ne Sachen, die also diese, dieses … also wenn es daran geht, dass diese radikalen Schritte passieren, dann ist allerhöchste Aufmerksamkeit im Detail notwendig. Also so ganz brutal … da ist die Presse auch richtig gefordert. Also in dem Augenblick muss man wirklich hingucken. Und wenn es dann sechshunderseitige Verträge sind, dann muss man die mit der Lupe lesen, weil da hängts dann wirklich davon ab, wie die Zukunft aussieht. Weil da sitzen nämlich die Goldman Sachs und diese anderen Leute dieser Welt die versuchen, diese Entscheidung zu beeinflussen und mit dem politischen Personal und der Kompetenz … diesem Kontrollverlust, der dann da ist, kann es dann nur noch schlimmer werden. Also dann wird es hier nach der Krise noch schlimmer als vor der Krise.

Fefe: Also eine Sache, eine Sache finde ich schon noch wichtig. Ich unterstelle nämlich dass, wenn wir sagen das Geld geht zu den Banken, dann mein ich nicht, zu den Banken, sondern die zahlen sich das als Bonus aus.

Frank Rieger: Also zu den Bankern, ja.

Fefe: Ja. Zu den Bankern nicht zu den Banken. Und das ist ne wichtige Sache, denn die ursprüngliche Begründung war ja: „Das Geld soll zu den Banken fließen, denn die verleihen das ja dann“ Das war ja die Idee dahinter und genau das passiert ja nicht, sondern die zahlens sich als Bonus aus.

Frank Schirrmacher: Aber …

Fefe: Also diese 1% / 99%-Sache hinter Occupy-Wallstreet und auch bei Occupy-whatever, das ist schon, das ist schon so. Ja, also nen Wort was Frank und ich gerne mal in Diskussionen verwenden, ist die Automatisierungsdividende. Wir haben viel Geld dafür ausgegeben über die Jahre, dass wir Maschinen bauen, die uns die Arbeit abnehmen und die Idee war, dass die Menschen weniger arbeiten müssen … so haben wir das ja verkauft. Und heute: keine Sau arbeitet weniger, sondern die arbeiten genauso viel …

Frank Rieger: Oder gar nicht.

Fefe: Oder halt gar nicht. Genau.

Frank Schirrmacher: Oder eben auch ohne Feierabend mittlerweile dank E-Mail, und all dem anderen ─ ständig erreichbar.

Fefe: Und die Gewinne sind eben nicht ausgezahlt worden an die Bevölkerung, sondern das 1% hat die mitgenommen.

Frank Schirrmacher: Aber ich würde gerne – ich bin kein Ökonom – ich würde es gerne noch einmal von der anderen Seite sagen. Damit man auch versteht, warum ich auch glaube, dass es unabhängig von Ökonomie eine viel, viel größere Krise ist, als wir denken. Wenn es jetzt nur darum ginge, irgendwie den Euro wieder zu stabilisieren, und auch einen Währungsschnitt zu machen. Es wäre ja noch alles okay, das sind technische Prozesse. Ich glaube es ist viel mehr passiert. Ich will das an einem einzigen Begriff einmal deuten, was wir erleben, was wir alle aber mit noch viel zu gebremster Empörung hinnehmen ─ aber sie kommt ─ ist z.B. ein Mantra unseres gesamten Systems ist der Begriff „Leistung“; Leistung heißt: ich tue etwas, am Ende geht es der Gesellschaft gut, meinem Unternehmen gut, dem Staat gut, dem Einzelnen gut. Das ist der Begriff der Leistung. Wir leben unter einer, und jetzt muss man sagen, gerade jetzt zu Ende einer einer konservativ-liberalen, aber es hat vorher schon begonnen, das ist die Zerstörung eines wirklichen Religionsinhalts dieser Gesellschaft. Das ist nicht mehr aufrecht zu erhalten. Der Satz von Paul Krugman: „Eine Gesellschaft, in der der bestbezahlte Hedgefonds-Manager im Jahr soviel verdient wie alle Lehrer des Bundesstaats New York zusammen in einem Jahr“, hat dieses - da gibt es dieses Prinzip nicht mehr. Es heißt, das ist ein Prinzip, an das wir noch glauben. Wir erleben, dass sämtliche „Leistungsträger“ …,

Minuten 75:00 bis 80:00

Frank Schirrmacher: Also alle diese, ob das jetzt Krankenschwestern sind, ob das Mittelständler sind usw. Das sind ja alle diejenigen, die erleben, Menschen, die z.B. ─ das ist ja auch so ein Wahnsinn ─ Menschen, die jetzt z.B. das ernstnehmen, und z.B. für ihr Alter sparen, das sind ja auch alle. Dass dieser Begriff, der ist wirklich, das ist wie ein Virus. Der ist total zerstört. Und ich glaube, dass das, da das das Leistungsethos dieser Gesellschaft selber betrifft, dass das viel viel schlimmer sein wird, solche Phänomene, es ist ja nur eines, als diese ganze Währungssache. Die Krise ist viel tiefer. Wer glaubt, wer sieht sich noch anerkannt? Wer sieht sich noch sozusagen in Relation zu anderen bezahlt? Dazu zählt auch diese Automatisierungsdividende und so. Und jetzt sehen wir sogar, dass die, die erkennbar eine negative Leistung bringen, eine zerstörerische Leistung, siehe Hedgefonds-Manager oder auch andere, muss ich nicht nur die nennen, auch noch einen Benefit davon haben. Das ist mehr als, das ist ─ früher wäre jetzt eine Revolution ausgebrochen, da sind sich glaube ich alle einig.
*Gelächter*
Ja, muss man so sagen. Jetzt hatten wir die als historische Erfahrung schon gehabt, und haben auch gesehen, dass es so nicht funktioniert. Die wird sich jetzt vielleicht auch dank Internet andere Bahnen brechen, ich kann nicht vorhersagen, in welche, ich glaube nur, also da bin ich auch jetzt einmal Apokalyptiker, ich glaube, die Zäsur ist viel, viel größer als wir denken. Niemand geht zu denen zurück. Ich habe heute telefoniert mit jemandem, das glaubt kein Mensch, das wäre vor 20 Jahren der Inbegriff des mittelständischen Unternehmers, verantwortlich auch für viele andere, als ich mit dem redete, da hätte ich auch mit Lenin reden können. Auch in dem Sinne, auch diese Empörung über den Verrat, so muss ich das zusammenfassen, einer Klasse, so hätte man das früher gesagt, heute ist es eine Gesellschaftsschicht, an einer Gesamtgesellschaft.

Noch haben wir die Substanz, aber die geht so etwas von schnell weg, diese Substanz, da soll sich doch niemand etwas vormachen. Menschen, die ihr Leben lang gearbetet haben, gespart haben, und dann noch 30 Jahre weiterleben: wie sollen die finanzieren Gesundheitskosten? Und sie haben auch nichts mehr zu vererben. Das ist ja alles erkennbar, dass das er Weg ist. Und darum denke ich, dass wir in diesem Jahrzehnt noch diese gesellschaftlichen Widersprüche total aufbrechen werden. Ich sehe aber niemanden im Augenblick, der darauf eine Antwort hat.

Frank Rieger: Die spannende Frage ist ja: Was passiert denn dann? Und, also da haben wir ja schon eine Weile darüber diskutiert.

Fefe: Wir haben auch eine Sendung gemacht, mit Rop, wo wir gesagt haben, wir sollten versuchen, in unserem Bekanntenkreis jeweils so einen Zirkel zu gründen, wo wir aus den verschiedenen Gebieten, die man so braucht, jemanden hat, der sich auskennt. Also ich sage mal: einer, der weiß, wie man Lebensmittel anbaut, einer der weiß, wie man ein Haus isoliert, ja. Und dass man halt guckt, dass man für Notfälle also jetzt nicht vorbereit ist, aber dass man zumindest die groben, wichtigen Überlebenssachen einfach mal klären kann. Und dass mal auch dem ein bisschen gelassener entgegen sehen kann, als wenn man jetzt völlig der Großstädter ist, der, wenn der Supermarkt geschlossen hat, nichts zu essen hat.

Frank Schirrmacher: Ich möchte gerne noch einmal einen Rückbezug zum Trojaner machen. Auch warum ich das so wichtig finde, oder was mich daran so … Bevor diese ganze Trojanerkiste kam ─ ich kann ja auch immer nur aus meiner Empirie, meinen Gesprächen reden ─, sagte mir jemand, den ich sehr, sehr schätze, der in der Politik auch eine Rolle spielte, jetzt aber nicht mehr drin ist, und der immer ganz nüchtern war, der sagte mir: er habe das Gefühl, dass die Leute mit dem Grundgesetz, also auch dem Geschenk des Grundgesetzes und der Verfassung, gar nichts mehr verbinden. Also dass das so diese Generation jetzt, dass das so mitge-– … ist halt da. Aber ich erinner mich auch noch, wie in den 1970er Jahren das war, und ich konnte das gar nicht so richtig glauben, also im Sinne von, dass das der Anker ist für alles. Und diese Trojaner-Affäre, auch wie darauf reagiert wurde, ist darum so unglaublich wichtig, weil es im Grunde die Art und Weise, wie ernst man das nimmt, darüber entscheidet, wie groß die Sensibilität für dieses Grundgesetz und für das Geschenk des Grundgesetzes noch ist. Was heute der Trojaner ist, kann morgen etwas ganz Anderes sein, und dieses Gefühl, dass das in Institutionen, aber auch bei Einzelnen gar nicht mehr als eine Errungenschaft wahrgenommen wird, sondern vielleicht sogar als eine Last, aber zumindestens als etwas, das man auch gar nicht mehr kennt, das kommt ja auch noch hinzu, das finde ich, darum sollte eigentlich diese Trojanerdebatte …, darum ist ja auch Herr Uhl so bedenklich, weil er die Chance gar nicht gesehen hat, die sich daraus ergibt, dass man daraus eine Debatte über unsere Werte führen kann.

Frank Rieger: Das wäre eigentlich das, was ich von Politik erwarten würde. Zu sagen: okay, gut, wir sind jetzt irgendwie da reingeritten, wir wissen, wo die Probleme liegen, wir müssen möglicherweise eine ganze Schicht unserer Gesellschaft wahrscheinlich resozialisieren, also denen Jobs geben oder Rollen in der Gesellschaft zuweisen, die nichts mit Zocken zu tun haben, sondern die halt sinnvoll verwenden. Früher hieß es halt „Stasi in die Produktion“, wahrscheinlich muss es heute halt heißen „Hedgefonds-Manager in die Altersheime“. So, also anders kann ich mir …

Frank Schirrmacher: Die armen alten Leute!

Minuten 80:00 bis 85:00

Frank Rieger: Ja, naja, die sollen einmal etwas Sinnvolles tun. Also, ich meine gut, die Studie, die du neulich hattest mit den Ähnlichkeiten zwischen Psychopathen und Tradern, die fand ich auch sehr hübsch. Anyway, der Kern ist doch eigentlich, wir sind doch an einer Stelle, die so ein bisschen mich erinnert an so 1990 so ungefähr, also einen Punkt, wo allen klar ist, also eigentlich eher 1989, es geht nicht mehr weiter. So, es gibt halt, also so wie's bisher war, kann's nicht mehr weitergehen. Wir haben keine gute Idee, was jetzt kommen soll.

Frank Schirrmacher: Das war jetzt in der DDR?

Frank Rieger: Ja, DDR, was jetzt das nächste sein soll. Und zum Glück gibt es ja noch die Bundesrepublik, die uns sagt, wie wir's machen sollen. Wir hatten noch so eine Bundesrepublik. Jetzt sind wir in genau derselben Situation, nämlich dass das alte System korrupt ist, wir können nicht mehr weiter.

Fefe: Mit dem ganzen Dampfer, aber jetzt haben wir keinen mehr, wo wir uns ranhängen können.

Frank Rieger: Es gibt jetzt gerade keine Bundesrepublik mehr, also es gibt jetzt kein System, wo man sagen kann …,

Fefe: Ja, das machen wir einfach so.

Frank Schirrmacher: Darum hat es ja die Bundesregierung geschafft, darüber haben wir uns ja auch schon gestritten, das finde ich, da bin ich ja gar nicht, da hat sie es geschafft sozusagen, einen Feind vom eigenen Fleische zu finden, und den den Leuten, das sind die Banken, wo ich sofort d'accord bin, dass man die Banken angreift: Occupy. Nur sie hat es ja echt geschafft, zum Aufstand gegen sich selber aufzurufen, indem sie für, weil die Politik, die wirklich hauptverantwortlich ist, hier gar nicht ins Gesichtsfeld kommt. Also ein paar Demonstrationen, die das berücksichtigen, wären hier schon sinnvoller.

Frank Rieger: Also ich finde ja, dass diese Merkel-Umarmung für Demonstranten, und auch diese Schäuble-Umarmung, dass die wahrscheinlich noch damit zu tun hat, dass sie diese Banken irgendwie disziplinieren müssen. Und dass sie denen jetzt sagen müssen: Passt mal auf Jungs.

Frank Schirrmacher: Ich lasse bald meine Kettenhunde los.

Frank Rieger: Tut uns wirklich leid, wenn ihr nicht wirklich demnächst auf einer einsamen Insel wieder aufwachen wollt, dann müssen wir jetzt halt hier einmal etwas tun. Und guckt euch einmal die Demonstranten da draußen an.

Fefe: Noch haben wir Geld, um die Security zu bezahlen.

Frank Rieger: Noch haben wir das Geld, die Polizisten zu bezahlen, die die daran hindern, eure Banken zu stürmen, aber vielleicht ist das ja morgen nicht mehr so, wenn ihr uns dazu zwingt, kein Geld mehr zu haben. So interpretier ich die Sache. Aus meiner Erkenntnis heraus von so Hedgefonds-Leuten, die sind halt wirklich zutiefst amoralisch. Die sind verwundert darüber, dass sie noch weiter zocken dürfen. Die verstehen nicht, warum die Politik sie noch lange nicht deportiert hat.

Frank Schirrmacher: Ja eben, das verstehe ich ja auch nicht.

Fefe: Das lustige ist doch, dass die damit überhaupt kein Problem damit hätten, wenn man ihnen das Geld wegnimmt. Die machen jetzt halt nur Opposition dagegen, weil sie halt gucken wollen, wie weit sie kommen. Aber das gibt keinen, die wären jetzt nicht irgendwie beleidigt oder würden das Handtuch werfen, wenn man …

Frank Schirrmacher: Aber das steht doch, genau die Frage, das ist ja genau die Gretchenfrage: Wieso ist eine Regulierung, das sagt ihnen jetzt jeder, das lesen wir dauernd, seit Lehman nicht gegeben hat, obwohl sie versprochen worden ist? Und das ist nur das Geschäft der Politik. Ich weiß auch schon, was die darauf antworten. „Wir können es nicht wegen Amerika. Wir können es nicht wegen der internationalen …“

Frank Rieger: Die haben sich doch da abkaufen lassen.

Fefe: Das ist doch ein Wettbewerbsnachteil.

Frank Rieger: Ich meine, warum es nicht passiert, lässt sich letztlich ja anhand z. B. der amerikanischen Regulierungsdebatte 1A nachvollziehen. Da ist es so, dass jede einzelne dieser Regelungen, die versucht wurde, da reinzudiskutieren, wurde von den Bankenlobbyisten und Hedgefondslobbyisten da wieder rausdiskutiert. Und dann haben wir UK, die mittlerweile so dermaßen von den Banken erpressbar sind, dass sie nicht mehr handlungsfähig sind. Aber Deutschland doch nicht!

Frank Schirrmacher: Eben!

Frank Rieger: Deutschland ist in einer Situation, wo die Politik durchaus in der Lage wäre, zu sagen: „Dann halt ohne euch.“

Frank Schirrmacher: Und darum frage ich mich ja, warum die Politik …

Frank Rieger: Was uns wieder zu dieser Frage zurückbringt: Was ist denn die eigentliche Motivation von Politikern?

Fefe: Warte einmal. Wir sollten diese eine Studie zitieren. Da gab es nämlich ein Paper, wo ein paar Graphentheoretiker sich angeguckt haben, wer eigentlich ─ wem gehört eigentlich die Welt? Was ja eine Frage ist, die uns alle interessiert. Und die haben eine Liste von 50 Firmen gebracht, und da waren zwei Deutsche dabei: die Deutsche Bank war glaube ich auf Platz 12, und die Allianz auf 18 oder so. Und das war alles. Der Rest ist USA, und die Briten. Auf Platz eins spannenderweise Barcley's. Das habe ich ja überhaupt nicht kommen sehen.

Frank Rieger: Allerdings muss man dazu sagen, dass diese Studie …

Fefe: Die Daten sind schon älter, die sind von 2007.

Frank Rieger: Nene, vor allen Dingen „wer verwaltet diese Anteile“. Also es geht nicht darum …

Fefe: Also wer kontrolliert's im Sinne von wer hat da jetzt welches Stimmrecht.

Frank Rieger: Ja, bei wem ist das Stimmrecht. Aber die Frage, „warum lässt die Politik so lange durchgehen“, und warum passiert da nichts, hat meines Erachtens sehr mit den Beziehungsgeflechten zu tun zwischen Politik und Finanzen, und eben den Parteispenden zum Beispiel.

Minuten 85:00 bis 90:00

Frank Schirrmacher: Wir haben auf diese, das würde mich jetzt auch interessieren … Wir haben ja jetzt das Internet. Also ich habe gehört, wir haben das jetzt ja.
*Gelächter*
Und ich finde ja, dass die großen Geheimnisse noch gar nicht gelüftet sind. Wikileaks hin oder her, aber das wäre für mich die unbeantwortete Frage: Wieso … Ich weiß ja genau, was uns gesagt wurde, was nach Lehman passieren sollte. Wieso ist es noch nicht einmal im Ansatz versucht worden? Das ist ein Rätsel, ich kann es mir nicht nur so erklären, dass da Interessen sind, so wie es eben die linke Theorie sagt. Da muß mehr dahinter sein. Ich habe darauf aber keine Antwort. Vielleicht kriegen wir sie irgendwann mal, denn auch bei Obama würde ich jetzt nicht ohne weiteres denken, dass Obama nur der Spielball von verschwörerischen kapitalistischen Kräften ist.

Frank Rieger: Na gucken Sie sich doch mal an, wer da an der Regierung sitzt.

Fefe: Da gibt es Statistiken zu übrigens, zu Obama und den Banken. Dem sind zum Großteil seine letzten Wahlkampfsachen bezahlt worden von Wall Street. Und die sind alle abgesprungen. Und da geht es um Millionenbeträge. Und das ist ja nun so: wir haben das System hier …

Frank Rieger: Der Geithner ist nun ein Goldman-Sachs-Mann.

Fefe: Ja natürlich, das ist Tradition in den USA.

Frank Rieger: Der hat die ganze Administration voll mit Leuten, die …

Fefe: … von Goldman Sachs kommen, natürlich …

Frank Rieger: Aber in Deutschland ist doch genau dasselbe …

Fefe: Sobald Obama so ein bisschen an der Fahne dreht, springen die mit den Wahlkampfspenden ab. Der hat noch nichts beschlossen, was irgendwie schädlich wäre für die. Und da sind die schon abgesprungen, obwohl die die gesamte Regierung gekapert haben bei denen. Die Treasury wird komplett von irgendwelchen Ex-Goldman-Sachs-Leuten bestückt …

Frank Rieger: In Deutschland haben wir doch genau dasselbe Spiel. Das gesamte Finanzministerium sitzt voll mit Leuten, die sind da on loan aus der Industrie. Wir haben nicht mal mehr Experten, die unabhängig sind. Also die Leute, die gerade in Deutschland in diesen Gremien unterwegs sind, um diesen ganzen Eurokram zu verhandeln, sind alles Banker.

Fefe: Aber wir haben ein System, das ich an dieser Stelle loben möchte, was mir im Unterricht damals nicht klar geworden ist, warum das eigentlich gut ist: Dass bei uns der Wahlkampf vom Steuerzahler getragen wird. Nach der Wahl wird geguckt, wer wieviel … Es ist die einzige Möglichkeit, wie man diese Scheiße los wird, diese Erpressbarkeit über Lobbyisten, aber man hat sie offenbar immer noch ein bisschen bei uns. Und ich frage mich inzwischen, ob das nicht … ob die Erklärung nicht in diesem „die denken nur noch kurzfristig“ ist. Denn wenn man mal sieht, was die ganzen Politiker machen, die aus dem aktiven Dienst raus sind, dann sieht man: Traditionell landen die in Lotto-Gesellschaften, in irgendwelchen Auffangbehörden, die keine Sau braucht (so sehe ich im übrigen auch das Expertenzentrum, was sie jetzt zum Trojaner angekündigt haben: Es ist einfach eine Gelegenheit, noch ein paar abgehalfterte CDU-Politiker zu versinken) …

Frank Schirrmacher: Aber sie landen nicht nur in Lottogesellschaften …

Fefe: … und sie landen in Aufsichtsräten von der Industrie und den Großbanken.

Frank Schirrmacher: Das Neue seit der Generation Schröder ist ja, dass sie wirklich richtig aktiv noch … das sind ja ganze Staatssekretäre, ganze Generationen sind ja in die Firmen gegangen, über die sie vorher entschieden haben, zum Teil Ministererlaubnisse durchgebracht haben, der Fall Clement usw. Wir sind jetzt aber bei einer, bei einem Teil, der sozusagen … Das ist ja eine alte Debatte: die Korruption und die ganze Frage von … Ich würde trotzdem nochmal sagen: Ich glaube, dass eben das Neue ist, dass die Krise an sich so groß ist, dass sie – ich weiß nicht, wie die Linke darauf reagieren wird –, dass sie aber auf alle Fälle die alten bürgerlichen, jetzt meine ich bürgerlich, ernsthaft, Gutbürgerliche – die haben mit Leistung zu tun, die haben damit zu tun, dass niemand den anderen, würde ich wirklich sagen, übervorteilt. Das meine ich mit „gutbürgerlich“. Dass etwas nachprüfbar ist, dass es eine gewisse Moral gibt. Die sind wirklich, die liegen am Boden, die sind zerstört, und es gibt keine charismatische oder wie auch immer Figur, die sie auffängt. Jetzt gibt es Leute, die daraus falsche Schlüsse ziehen werden, und wir werden sehen, ob das passiert. Es ist durchaus möglich, dass das Parteiensystem hier eine neue Antwort findet. Die Piraten müssen nicht die einzige Neugründung sein, sondern es kann durchaus sein, sondern es kann durchaus sein, dass sich eine Abspaltung vollzieht. Und zwar genau solcher sich deklassiert Fühlender bürgerlichen Milieus, die sagen: „So, jetzt muss das alles noch einmal anders werden“, also eher in der rechtspopulistischen Variante weitergeht. Es auch noch nicht ausgemacht, dass so etwas nicht passiert. Wir alle, würde ich auch einmal sagen, erkennen die Berliner Hauptstadt-Journalisten – ich will nichts gegen die sagen, überhaupt nichts, die sind am Puls der Macht, auch unsere Leute, und kriegen das alles mit im Cafe Einstein. Aber ich habe die Vermutung, dass solche Prozesse sich nicht in der Hauptstadt abspielen werden, sondern woanders.

Minuten 90:00 bis 95:00

Frank Schirrmacher: Und dass wir die, ich weiß nicht ob's Herr Henkel sein wird, oder ob es Leute aus seinem Umkreis sein werden, aber das muss man jedenfalls sehr genau beobachten. Vielleicht geht das in die Geschichtsücher ein als die große Zäsur der Bundesrepublik Deutschland; nur kenne ich keinen Politiker, der sie zum Thema machen würde.

Frank Rieger: Der wichtige Punkt dabei ist, gerade wenns um solche Parteineugründungen geht, wo das Geld herkommt. Weil sie gerade Herr Henkel sagten und so und was ich so hörte, in der Industrie, ums mal anonym zu formulieren, war halt schon durchaus eine Bereitschaft wenn es da sozusagen eine realwirtschaftsorientierte rechtskonservative Partei gäbe, um Geld müssten die sich keine Sorgen machen.

Frank Schirrmacher: Wie sind eigentlich die Piraten, wie ist das eigentlich finanziert gewesen?

Frank Rieger: na, die sind …

Fefe: … alles ehrenamtlich, also fast alles …

Frank Rieger: … die sind komplett ehrenamtlich, so, aus reiner Basis, so.

Frank Schirrmacher: Aber irgendwie muss man doch so einen Wahlkampf, muss man doch finanzieren

Frank Rieger: brauchten se nicht, hatten das Internet.

Fefe: Haben Sympathisanten gemacht. Die FDP macht ja sowas durch Bezahlte *lacht*

Frank Rieger: die ersten Wahlkämpfe haben sie so gemacht, dass sie ne Wahlkampfanleihe bei den Mitgliedern gemacht haben, haben sich also Geld bei den Mitgliedern geborgt, ums dann mit der Wahlkampfkostenrückerstattung zurückzuzahlen. Was man ja machen kann, also die größte Spende waren so 20.000 oder so, selbst da haben sie sich noch die Köpfe eingeschlagen ob sie jetzt Geld von Firmen annehmen, also da, da war nich so viel unterwegs. Aber, die Frage, „wird es denn so eine Neugründung geben am rechte … also sozusagen rechts von der CDU oder aus einem Teil der CDU oder zwischen rechtem Rand der SPD und CDU oder was auch immer“ …

Fefe: Aber da zweifelt doch niemand wirklich dran, oder?

Frank Rieger: Naja, die Frage ist ja, was passiert denn dann; die müssen ja was komplett neues machen, ne, also die werden ja nicht mit den alten Methoden durchkommen, ich denke dass genau diese Frage, was wir vorhin schonmal angerissen hatten, diese Echtzeit der Politik, also dass die Politik halt immer mehr in so ein Echtzeituniversum geht und auch schon früher war, die wird da glaube ich eine ganz große Rolle spielen. Was wir bei Guttenberg auch schon gesehen habe, ne.

Frank Schirrmacher: Also ich glaube, was passieren wird, was ich auch schon beobachte, ist: wir denken ja immer, die Geschichte kommt so zurück wie wir sie schon kennen, aber das ist anders …

Frank Rieger: Ja!

Frank Schirrmacher: … und der Trailer des ganzen, oder der Flugzeugträger des ganzen wird, das war ja sogar in den 20er-Jahren noch so, wir haben das nur, lesen das immer anders, weil wir dann gesehen haben, Antisemitismus und so weiter, das haben wir dann erkannt, aber eigentlich war das ursprünglich auch ökonomisch. Das heißt es beginnt, wird die Ökonomie wird der Trailer sein. Sie können mit ökonomischen Argumenten über Griechenland heute so reden, wie man in Deutschland seit 40 oder 50 Jahren nie über ein anderes Land mehr geredet hat. Plötzlich geht das. Viele hängen sich da ran. Ein Land, in dem wir ja gehaust haben bekanntlich wie sonstwas, plötzlich kann man sagen „sie sind faul“, äh, unfähig und so weiter. Das war eigentlich tabuisiert und diese Tatsache, dass man über Ökonomie, wenn jetzt auch noch Dinge sagen kann, jetzt denken Sie an die Europadebatte, Nationalstaatsdebatte, wir wollen wieder – Henkel ist ja nichts anderes als im Grunde die Rückkehr, er sagt zwar Nordeuro, aber das kann man auch als nationalistisches Argument sehen. Und über diese ökonomische Schiene, glaube ich, da muss man auch sehr aufmerksam sein, werden Dinge, die eigentlich für undenkbar schienen, womöglich zurückkommen. Das heißt es wird keine Partei sein, die daher kommt und sagt „Ausländer raus“ oder so, das wirds gar nicht sein.

Frank Rieger: Ja gut Sarrazin wird auch dabei sein, ne?

Frank Schirrmacher: Ja, aber eben ökonomisch. Der ist ja auch ökonomisch, das isses ja, biologistisch und ökonomisch, das ist ja etwas was immer übersehen wird, darum ist es ja auch so bedenklich. Darum haben wir's ja auch so attackiert. Der nimmt zwei anscheinend neutrale Strukturen. Eine ist der Biologismus und das andere ist ja die Ökonomie. Dieses ganze Gerede von „sind ja nur Gemüsehändler“ usw. Und das beides wirkt ja dann so rational. Das heißt ja nicht „Oh, diese Leute haben eine Religion, die mir nicht gefällt, oder so ähnlich“, sondern es hat plötzlich einen total objektiven Anschein. Diese neue Form des Positivismus ist deshalb so gefährlich, weil – wie wir ja vorhin besprochen haben – die anderen Gewißheiten ja ruiniert sind. Niemand glaubt mehr einem Banker, wenn er jetzt sagt „Wenn ich die und die Zinsen … und das Derivat und diese …“. Das heißt, hier ist auch ein Bedarf da und darum empfehle ich nur jedem, genau aufzupassen, wie sich so ein neues vulgärwissenschaftliches Weltbild womöglich auch parteipolitisch manifestiert. Der Henkel ist dafür schon ein grandioses Beispiel. Und Sarazzin ist von der anderen Seite dafür das andere Beispiel.

Fefe: Eine kurze Sache: Die ausländischen Medien sehen das teilweise durchaus so. Also ich habs im Economist gesehen …

Frank Rieger: … Stratfor …

Fefe: und Stratfor, die haben das deutlich auch so formuliert. Dass Großdeutschland sich jetzt wieder Sachen rausnimmt, die wir eigentlich aus dem Dritten Reich kennen.

Frank Schirrmacher: Das ist doch sehr irre, oder!

Fefe: Und das fand ich interessant, dass ich das bei uns nirgendwo gesehen hab.

Frank Rieger: Doch niemand …

Minuten 95:00 bis 100:00

Frank Schirrmacher: Doch, Rösler, Rösler ist schon sehr attackiert worden, Rösler ist schon sehr attackiert worden.

Fefe: Oh, okay.

Frank Rieger: Ja, aber trotzdem, diese, also, eher attackiert worden, aber interessant ist ja, also, ich meine gut, mit so ein paar Leuten aus dem Außenministerium, mit denen ich gelegentlich rede, die da irgendwie ganz kleine Lichter sind, da kommt es schon vor, aber allerdings eher im Sinne von „Wir haben jetzt die Verantwortung“, also im Sinne nicht dessen „Großdeutschland“, naja …

Fefe: Ja.

Frank Schirrmacher: Ja.

Frank Rieger: Also muss man sagen, Macht ist Verantwortung. Und wir haben jetzt als Deutschland, kriegen halt die Verantwortung für dieses Imperium Europa, bekommen wir halt, weil Kraft der Struktur der Euro-Verträge, ist es halt so, dass darin angelegt war, dass Deutschland halt irgendwie die Hegemonialmacht in Europa wird und wenn … jetzt ist es halt so, können wir jetzt nicht länger wegdiskutieren, bis dahin war's halt irgendwie …

Frank Schirrmacher: Wir geben's nur nicht zu.

Frank Rieger: Naja, wir … Klar, also, wir geben es halt natürlich nicht öffentlich zu, weil halt irgendwie dann würden alle schreien, aber de facto ist es halt so und de facto wird es zum Beispiel in Osteuropa auch so empfunden.

Frank Schirrmacher: Ja, aber die …

Fefe: Ich hatte da so einen Witz gemacht, den wollte ich gerne nochmal anbringen an der Stelle. Das hat mich nämlich daran erinnert, wie Microsoft in Apple investiert hat, als Apple drohte, pleite zu gehen, und Microsoft den Anschein erheben wollte, als seien sie nicht die Hegemonialmacht – aus kartellrechtlichen Gründen an der Stelle. Aber wir haben ein ähnliches Problem; im Grunde machen wir ja das Selbe: wir füttern halt Frankreich mit durch und tun immer so, als sei das so ein Duopol, als hätten die Franzosen was zu sagen. Die sind immer mit dabei und wir machen auch immer Zugeständnisse und machen das auch immer öffentlich, dass wir dieses und jenes Zugeständnis an Frankreich gemacht haben. Ich finde das durchaus vergleichbar. Also man hört ja, dass im Grunde Frankreich eher so ein Sorgenkandidat ist, als ein ruhender Pol in der EU.

Frank Rieger: Aber das würde vorraussetzen, dass das kontrastiert mit der Diskussion, die wir vorher hatten, nämlich mit der Frage: „Ist da überhaupt Personal, was dazu in der Lage wäre, mit so einer strategischen Situation so qualifiziert umzugehen?“. Ich weiß es momentan nicht.

Frank Schirrmacher: Also, wenn sie eine Lösung wollen … aber das ist das eine, aber das andere ist doch – das haben wir doch jetzt schon beschrieben: es ist Fall Guttenberg. Es ist für eine Gesellschaft manchmal gar nicht nötig, dass da einer eine Lösung wirklich hat, also, wir fragen ja immer nach dem, der's löst, also nach dem …

Frank Rieger: Oder nach der Idee, die es löst.

Frank Schirrmacher: Genau, aber es kann auch einer kommen, in solchen Momenten, der einfach die entsprechende Rethorik hat, das entsprechende Charisma hat, das ist ja diese Inkubationszeit, dass das dann manchmal funktioniert und plötzlich exakt eine ganze Gesellschaft, die ja auch jetzt nicht, dass die … Die Gesellschaft besteht ja jetzt nicht aus Experten, sondern die sagen „Okay, dieser Mensch wird das lösen“, das heißt die Gefahr, dass es eher populistisch wird, dass man aber damit durchkommt, die halte ich für sehr viel größer, als die Chance, dass jemand kommt und sagt „Ich habe eine als Partei oder so, wir haben hier eine Lösung“. Ich würde nur mal anregen, das wäre mal was auch für die Zeitung, fällt mir nämlich auf während wir reden, man müsste jetzt mal, wir sind uns doch einig, was so ein Hedgefondsmanager so, also, leistet für die Allgemeinheit, mehr oder weniger … oder nicht leistet. Man müsste jetzt einfach nur mal den Begriff „Faulheit“, den müsste man sich jetzt mal …

Frank Rieger: Gesellschaftliche Faulheit

Frank Schirrmacher: … jetzt mal genau angucken, und zwar von Sarrazin bis hin zu Griechenland, und das dann mal übersetzten, wer eigentlich in dieser Gesellschaft faul ist, ob es nicht derjenige ist, der sein Geld für sich arbeiten lässt – also dieses alte Bild – und das Geld von unzähligen Anderen, oder derjenigen, der da an seinem Gemüsestand sitzt. Das sind … ich glaube wir erleben hier so einen Wertewandel, so ein … es ist so eine Vorbereitung für die Instrumentalisierung, es kommt mir fast orwellsch manchmal vor. Von allen, in einer Schnelligkeit, in einer Rapidität, wie ich es nie für möglich gehalten hätte vorher, dass man vielleicht solche Studien mal auch journalistisch verstärkt machen sollte. Ich glaube bei dem Begriff „Faulheit“ käme man sehr weit.

Fefe: Ja.

Frank Schirrmacher: Ja, wie der Bedeutungswandel … aber auch wie er jetzt schon eingesetzt wird, was er eigentlich …

Frank Rieger: Als Kampfbegriff.

Frank Schirrmacher: Genau, als Kampfbegriff. Und wer aber dann wirklich faul ist, im klassischen Sinne, ja, also ich meine, nocheinmal, also dieser von Paul Krugman beschriebene Hedgefondsmanager ist im Vergleich zu dem, was er verdient natürlich der faulste Mensch der Welt. Ja, was müsste der leisten, um so viel verdienen zu dürfen, wie alle Lehrer des Bundesstaates New York zusammen?

Frank Rieger: Hmm.

Frank Schirrmacher: Es gibt einen Hebel, das hat einmal der Robert Frank, ein großer Mann, ein großer Ökonom in Amerika beschrieben, der hat gesagt, irgendwann in den 90er Jahren ist das passiert, da sagte der: „Da begann etwas, wo wir alle merkten, dass ein Hebel angesetzt hatte, bei den Gehältern in den Banken, der durch keine Leistung mehr zu rechtfertigen war.“ Heute wissen wir, dass das so war, aber das muss man sich mal einfach vorstellen, das sind Leute, die einfach faktisch keine reale Leistung erbringen, aber nach den Kriterien einer Leistungsgesellschaft unendlich bezahlt werden.

Frank Rieger: Das ist glaube ich auch der Grund für diese Proteste. Weswegen ich auch denke, dass diese Proteste an die richtige Adresse gehen …

Frank Schirrmacher: … nicht nur dort …

Frank Rieger: … diesen grundlegenden Verstoss gegen Normen und Werte, nach denen 99% der Gesellschaft leben müssen.

Minuten 100:00 bis 105:00

Fefe: Ich glaube dass man die nicht angreifen kann, weil das schon die Notfallantwort ist. Die Idee, dass die Banker für ihre Spekulationen Geld verdienen, ist ja die Reaktion darauf, dass die Globalisierung die Arbeitsplätze aus dem herstellenden Gewerbe und Handwerk ins Ausland getrieben hat, und dann bleibt einem ja auch gar nichts anderes mehr übrig. Die Amerikaner waren da relativ schnell dabei, und haben sich halt so ein System zurechtgezimmert, dass man mit „Intellectual Property“ Geld verdient, und Spekulation plötzlich auch ein Gewerbe ist. Und deswegen kann man das nicht angreifen, denn dann bleibt ja nichts. Es ist ja nichts mehr übrig!

Frank Schirrmacher: Wir sind vielleicht gerade in der Lage, dass wir gar nicht mehr wissen – gut, da gibt es den EZB-Tower und so etwas – aber das sind alles Vorbedingungen von solchen kafkaesken, anonymen Strukturen in denen moderne Gesellschaften hineinkommen, die mich schon wieder an 1989 auch ein bisschen erinnern – „Wer ist der Adressat?“ – das ja wie wir seit Saussure wissen, die entscheidende Frage bei Kommunikation. Dass ich weiß: Wer ist der Adressat? Und jetzt wüsste ich gerne mal: Wer ist der Adressat? Ist das der Herr Madoff – nee, das ist er bestimmt nicht?

Frank Rieger: Das ist wahrscheinlich wie '89 - da war der Adressat auch nicht Honecker. Sondern der Adressat war das System. Da gab es so bizarre Gegebenheiten, wo dann Egon Krenz rankam und dann als erstes erstmal versprach „jetzt wird mit der Bürokratie aufgeräumt“, „wir brauchen mehr Beteiligung und mehr Demokratie“ …

Fefe: Der war doch ein Bürokrat, oder nicht?

Frank Rieger: Ja natürlich, der war der Apparatschick schlechthin …

Frank Schirrmacher: Und Egon Krenz, da erinnere ich mich wie gestern, bei dem ersten Interview das er gab, als er aus der Volkskammer rauskam, sehr unklug von ihm, aber interessant dass er das sagte, da fragte ihn die Reporterin „eine Frage vom Massenmedium Fernsehen: Herr Krenz, was wird jetzt kommen?“ - und darauf er: „wir müssen arbeiten, arbeiten, arbeiten“. Er wollte damit wahrscheinlich sagen: „Wir im Politbüro…“ oder so etwas, aber das war ja so eine ausgepowerte Gesellschaft, die diesen Begriff Arbeit sich auch ganz anders übersetze, und dass diese politische Semantik mit der Wirklichkeit eigentlich total nichts mehr zu tun hat, sehe ich eben auch in dem Leistungsbegriff. Mir kann eben kein CDU-Verantwortlicher das mehr für sich reklamieren, wenn diese Eurokrise jetzt nicht in der Weise gelöst wird wie sie zu lösen ist. Bedenken Sie: Der Herr Gerke, dessen Vorname ich nicht weiß, das ist ein Bankenprofessor, der taucht seit Jahren immer wieder auf, eigentlich ein Anhänger des herrschenden Systems, der sagte gestern den Satz: „Eins ist ganz klar: Was wir im Augenblick mit Griechenland tun, ist: Wir helfen nur den reichen Griechen. Wir helfen nur denen die Geld haben.“ Der sagt natürlich auch das gleiche über die Banken, dass das so nicht geht. Wir sind eigentlich schon auf hoher See, wir haben das feste Land schon lange hinter uns gelassen, haben auch keinen Orientierungspunkt mehr, so kommt es mir jedenfalls vor. Wir bauen uns künstliche Leuchttürme, die Medien machen das, indem sie künstliche Erwartungen wecken, jetzt vor diesem EU-Gipfel und ähnliches, „jetzt wird was passieren – was macht jetzt Merkel – und so“ – aber in Wahrheit sind das ja nur Leuchtpatronen, so kommt es mir vor, die man in die Luft schießt.

Fefe: Das ist nicht nur schlecht. Ich seh mit grosser Genugtuung immer wenn der Gysi im Bundestag ne Rede hält, der erzählt dann ne Stunde lang „hab ich euch doch gleich gesagt“, und das hat er ja auch wirklich schon seit vielen Jahren –

Frank Schirrmacher: … das kann niemand bestreiten …

Fefe: … das lustige ist ja glaube ich, dass die Linken da genauso überrascht werden wie alle anderen dass das System jetzt tatsächlich platzt.

Frank Schirrmacher: Ich war hier mal in Potsdam unterwegs, während der Lehman-Krise, und plötzlich kommt mir ein älteres Ehepaar entgegen, und da sage ich zu meinem Begleiter: „Der sieht aus wie Egon Krenz“ – und er kommt näher und tatsächlich, es war Egon Krenz. Und da sprach ich ihn an und sagte: „Na Herr Krenz, was sagen Sie denn dazu dass jetzt 20 Jahre nach dem Fall der Mauer der Kapitalismus fällt?“ – und da sagte er so ganz angelegentlich: „Glauben Sie das wirklich?“ Und da sagte ich: „Naja, so ein bisschen wirkt's ja so“. Und da sagt er „Ach! 20 Jahre zu spät.“
*Gelächter*

Minuten 105:00 bis 110:00

Frank Rieger: Naja, aber die Frage ist ja doch, wenn wir uns das so angucken, was unsere Politiker da tun. Wir haben mal festgestellt, eigentlich ist das eher so hektisches Paddeln und versuchen dabei noch seriös auszusehen, was irgendwie ein bisschen schwierig ist beim Ertrinken. Die Frage ist ja am Ende: Gibt es denn neue Mechanismen, neue Wirkmöglichkeiten für politische Gestaltung, die sich jetzt entwickeln können. Also ist die Sache mit dem Internet, wo Sie ja sehr skeptisch sind, ob sich mit den Piraten irgendeine Art von neuen Sachen entwickelt …

Frank Schirrmacher: … Ich bin da garnicht so skeptisch. Ich glaube nur die mediale Realität, das mediale Monster ist ein Verdauungssystem, kann da sehr viel kaputt machen, das ist eher meine Skepsis. Ich bin skeptisch bei Altmaier, ob es reicht, nur zu sagen, ich twittere, und schon ist man beliebt. Das muss sich noch entwickeln. Ich frage mich eher, und da bin ich bei dem was auch Fefe vorhin sagte, ob wir wirklich realisiert haben, dass wir in einem System im Augenblick leben, wo niemand die Antwort weiss. Z.B. der Journalismus ja auch nicht. Und das wäre ja eine Chance, wenn ich mal etwas optimistisches sagen kann …

Frank Rieger: Die Verständigung über das Neue.

Frank Schirrmacher: Ja. Und dann eben auch für Ideale. Also jetzt wäre doch die Chance, zu sagen, was Europa einem wert ist. Und zwar unabhängig von dieser aufgedrückten ökonomischen Frage. Jetzt wäre doch die Möglichkeit solche Fragen zu stellen, was einem Freiheit wert ist, was das Grundgesetz wert ist, oder eine Vereinigung europäischer Staaten. Das wäre jetzt doch die allerbeste Chance, das zu machen. Und das ist ja das was ich der Politik am meisten vorwerfe, dass sie das nicht tut – wir sind in gewisser Weise von der Ökonomie befreit, weil das System Ökonomie in gewisser Weise implodiert. Sagen Sie mir einen, der das versteht, was im Moment vor sich geht, und darauf eine Antwort hat. Ich kenne niemanden.

Fefe: Das finde ich einen interessanten Gedanken, dass uns das befreit. So habe ich das noch nicht gesehen. Ich hab allerdings neulich einen Kommentar von einem Schriftsteller gelesen, ich weiss garnicht mehr in welcher Zeitschrift das war und wie der hieß, aber der hat genau diese Fragen gestellt, und das fand ich sehr spannend. Dass dieses Gespür des großen Ganzen eben doch noch eine Sache ist, die eher Schriftsteller und Historiker und Feuilleton machen können als der Politikreporter, der zu sehr in den Details drinhängt und die Gesamtbewegung nicht erkennt, weil er die kleinen Strömungen sieht.

Frank Schirrmacher: Z. B. der Satz der jetzt gleich kommt, den müsste man gleich mal zensieren, also geistig: „Wir haben vom Euro sehr profitiert“. Schon der ist falsch, selbst wenn wir nicht profitiert hätten, in diesem klassischen ökonomischen Sinn, ist doch die Frage ne ganz andere, nämlich wie haben wir auf der Metaebene von ihm profitiert. Was haben wir dadurch gewonnen, wenn wir an die Geschichten unserer Vorväter denken, das ist nicht nur Krieg, das ist ja viel viel mehr. Das heißt wir könnten auch ganz viel Ballast loswerden, des Primats des ökonomischen Diskurses. Ich bin auch davon infiziert gewesen in den 90er Jahren. Plötzlich schien es ja so, als sei da eine Theorie – wie eine physikalische Gleichung, mit der es funktionieren kann. Ich bin ja kein Ökonom …

Fefe: … die Weltformel …

Frank Schirrmacher: Ich weiss noch wie in der grossen Aktienblase um das Jahr 2000 Menschen auftauchten und sagten „das wird so irre sein, jeder Arbeitnehmer wird auch Aktienbesitzer eines Unternehmens seins und ein Interesse haben, dass es ihm gutgeht usw“.

Frank Rieger: … der Startup-Kommunismus …
*Gelächter*

Frank Schirrmacher: Genau. Und ich will jetzt noch was zu den Piraten sagen. Also ich finde – ich hab die Grünen damals ja aus grosser Nähe erlebt – das wirkliche Phänomen, deren größte Stärke im Augenblick, ist nicht, dass sie sich in digitalen Systemen auskennen, sondern das ist wirklich, dass sie die Spiele nicht mitspielen – erkennbar auch medial nicht mitspielen. Das ist garnicht mal Verweigerung – man hat manchmal den Eindruck, die verstehen die auch gar nicht. Insofern sollte man ihnen die Staatstrojaner-Schweigsamkeit auch nachsehen, vielleicht ein bisschen. Das wäre wirklich so ein Virus im System. Wer nicht mitspielt bei den bestimmten Erwartungen einer rein medial organisierten Gesellschaft, der könnte echt einen großen Vorteil haben, insofern bin ich da voller gespannter Erwartung.

Frank Rieger: Die Frage lautet ja dann, wie funktionieren dann da die neuen Transportmechanismen, und vor allem die neuen Diskursmechanismen. Um den Bogen zu unserem Anfangsthema nochmal ein bisschen zurückzuspannen: Was wir festgestellt haben ist ja, dass der momentane politische Diskurs ziemlich kaputt ist. Wir sehen auf der einen Seite Politiker die nur noch in Echtzeit auf das reagieren was auf Spiegel Online oder Bild.de steht, auf der anderen Seite finden eigentlich tiefgreifende Debatten im Politikteil der Zeitung nicht mehr statt, sondern maximal in den Feuilletons.

Frank Schirrmacher: Also bei uns schon – das ist schon das Wichtigste.

Fefe: Ausnahmen bestätigen die Regel.

Frank Rieger: Aber die Medien sind ja schon in einer Situation, in der sie sich diese Debatten nur noch sehr mühsam leisten koennen.

Minuten 110:00 bis 115:00

Frank Schirrmacher: Leider - aber das ist doch das Aufregendste, was es gibt.

Frank Rieger: Ja, sollte man denken. Aber solange die Leute mit diesen Talkshows abgefüttert werden und denken, dass die Debatten da stattfinden wo sie nie stattfinden, ist die Frage: Wie sieht denn die neue Verständigung aus? Also, nehmen wir mal an, die Piraten sind cleverer als wir denken, und dass wir sie dafür gehänselt haben dass sie in den medialen Debatten nicht vorkommen, ist nur schlaue Ignoranz, zu sagen „wir müssen das nicht und uns reicht es wenn wir auf Twitter und Facebook erscheinen, weil wir da die Leute erreichen die uns sowieso verstehen wollen.“

Fefe: Naja …

Frank Rieger: Wenn man sich Liquid Feedback zum Beispiel anguckt, interessant was ich da gerade sehe, ich schaue da ab und zu gerne rein – Liquid Feedback ist ja dieses Piratentool um politischen Diskurs zu machen, von den Nordostpiraten, die Südwestpiraten haben ja ein anderes, was man da sieht ist, dass die Integration von neuen Mitgliedern offenbar funktioniert. Es ist so, dass da ne Menge Leute reinkommen, die bekommen dann ihren LF-Account, und die fangen dann richtig an zu debattieren, richtig erfrischend.

Frank Schirrmacher: Das ist ja ein Phänomen, das sehen Sie z. B. auch bei Altmaier, das verfolge ich jetzt wirklich aus der Nähe, ich habe ihn ja auch angerufen und gesagt: schreiben Sie bei uns, geben Sie Ihre Erklärung ab. Und das übrigens zur Rolle der Medien: Dieser Leuchtturmcharakter, dieser repräsentative Charakter, das ist eine ganz große Chance für Medien, wir dürfen nicht irgendwelchen Diskussionen hinterherlaufen, sondern wir müssen sie auslösen, und das ist durch Altmaier passiert. Darauf hat dann Pavel Mayer geantwortet, am Montag wird der Beck von den Grünen antworten. Das sind jetzt im Augenblick noch so Erklärungen wie „ich bin dabei“ und so, aber es zeigt dass da eine Vernetzung stattfinden kann, denn die Medienwirklichkeit, das merken wir immer wieder, ist eine – ich will garnicht sagen realitätsgesättigtere – aber eine verbindlichere als die andere, im Augenblick jedenfalls noch. Wenn beides zusammentrifft, passiert sowas wie im Fall Altmaier, von dem ich glaube, im Augenblick, dass man fast beobachten kann, der gerät in so eine Euphorie rein, das ist fast – ich will jetzt nicht sagen wie unter Drogen – aber der ist ein völlig anderer Mensch durch Twitter.

Fefe: Das geht allen Leuten so bei Twitter, da hat man …

Frank Rieger: … das unmittelbare Feedback …

Fefe: … nicht nur durch Antworten, sondern auch, dass man sieht wieviele sich als Follower eingetragen haben. Das heisst man sieht, wieviele Leute interessiert, was ich sage.

Frank Schirrmacher: Genau, exakt.

Fefe: Und wenn das über Nacht hochgeht auf 4- oder 5-stellig, das kann die Persönlichkeit ändern. Was mich ja immer umtreibt: Wenn die Leute sich ne Talkshow angucken, und danach nicht mehr die Debatte in etwa der FAZ lesen, weil sie glauben sie haben die Antworten schon gekriegt, oder schlimmer noch gar, es gibt keine Antworten, weil es in der Talkshow keine gab, was können wir denn da tun? Und wenn ich darüber nachdenke, frage ich mich, wenn da jetzt so ein Glücksgriff kommt wie dieses Friedrich-Interview in der FAZ, wo er sich ja um Kopf und Kragen geredet hat, hätte da die FAZ nicht noch mehr Punkte machen können wenn sie gleich nen Kommentar dahintergehauen hätte?

Frank Schirrmacher: Nee, das darf man nicht machen. Das heißt das Denken der Menschen abschneiden. Wir brauchen immer einen Echoraum, wir brauchen einen Inkubationsraum, das heißt, das steht jetzt in der Gesellschaft, und da sollen sich alle mal darüber Gedanken machen. Gleich einen Kommentar dazu finde ich total verwerflich …

Fefe: Ich auch, aber ich finde das ist unser Bildungsauftrag, dass wir das hier erklären, warum da kein Kommentar drunter ist …

Frank Schirrmacher: Der Kommentar ist nicht drunter, weil das Größte was wir leisten können ist, Reflektion in Gang zu setzen. Jetzt liest das jemand, in dieser Inkubation passiert das, und dann, das haben wir ja auch gemacht, ich habe dann ja ein paar Tage später einen Kommentar dazu geschrieben, aber bewusst nicht gleich. Nehmen Sie die Talkshows, auch ein interessanter Fall: Die meistgeklickten Artikel bei uns bei den anderen sind die morgendlichen Besprechungen der Talkshows, die die Leute ja schon gesehen haben, bei uns und bei den anderen.

Fefe: Ach!

Frank Schirrmacher: Das heisst das was die dann wollen, ist die Einordnung, und dieses Prinzip, also ich sehe das ja auch bei Altmaier – ich hab noch nie so viel mit dem zu getun habt wie seit er twittert – warum? Weil er auch diese Einordnung, Rückmeldungen und dergleichen sucht, er wartet sicherlich auch bis ein Artikel erscheint. Ich sehe das alles als eine Form von Kooperation. Nur, das ist jetzt meine Frage, weil Sie beiden das ja viel besser kennen und viel tiefer drin sind als ich, wir reden immer noch von einer Avantgarde, wir reden immer noch von einer Situation, das kennen wir alle, first move advantage und so weiter. Was passiert jetzt wenn jetzt, nehmen Sie nur die Jugendorganisationen der Parteien – alles Individuen –, wenn sich das dann verwässert? Wenn das jetzt tatsächlich zu einem Interessenfeld wird, nicht nur Twitter, aber vieles andere. Was wird dann?

Frank Rieger: Wenn die Leute nicht mehr interessant sind, folgt ihnen halt niemand.

Frank Schirrmacher: Ist das so?

Frank Rieger: Die Selektion ist halt brutal schnell, gerade auf Twitter, oder bei Blogs.

Frank Schirrmacher: Ist das wirklich so, wenn man nicht interessant ist?

Frank Rieger: Bei Altmaier ist es so, dass es nicht interessant ist was er twittert, …

Frank Schirrmacher: … sondern dass er Macht hat …

Minuten 115:00 bis 120:00

Frank Rieger: … sondern dass er twittert. Das ist gerade der Punkt, der interessant ist. Und in dem Augenblick, wo es nicht mehr interessant ist, sondern nicht mehr der Fakt, dass er twittert, dass er in der digitalen Wirklichkeit angekommen ist, sondern wenn es darum geht …

Fefe: … Er muss jetzt nachlegen, sonst ist er in zwei Tagen wieder weg …

Frank Rieger: … was passiert dann? Ist er in zwei Wochen tatsächlich wieder weg. Das ist ja auch der Grund, warum Fefes Blog funktioniert, weil es konstant interessant ist. Es gibt halt kein Nachlassen dabei.

Frank Schirrmacher: Ist das wirklich so? Ist „interessant“ die Kategorie?

Frank Rieger: Ja natürlich! Das ist auch die Chance der Medien. Warum sind denn die ganzen Zeitungen in dem Augenblick wo sie sich entscheiden, dass sie nur noch dpa-Printout machen …

Frank Schirrmacher: … ja, ja geklonte …

Frank Rieger: … wenn man die Auflagen anguckt, die dümpeln halt alle so noch unten. In dem Augenblick wo so ein Provinzblatt sagt, …

Fefe: … wir drucken jetzt dpa, sind die ganz schnell weg.

Frank Rieger: … wir kicken unsere Lokalredaktion, dann sind die ein Jahr später zu. Das ist ganz klar. Worum es geht, ist immer die Story. Wer keine Geschichte zu erzählen hat, ist halt weg.

Frank Schirrmacher: Also es stimmt nicht die These, dass wenn jetzt sozusagen die Massen, dort einwandern, dass wäre jetzt meine These gewesen, genau wie in allen anderen Systemen, zu dem Gesetz der durchschnittlichen Mitte kommen, und das ganze System halt einfach nur ein Kommunikationssystem unter vielen ist, mit ein paar Highlights.

Frank Rieger: Natürlich wird es weiter verwässern …

Fefe: Ja doch, aber, das ist mehr als es klingt, denn es bildet sich so eine Gruppendynamik wie auch in anderen sozialen Systemen. Also es gibt in der Firma in der Raucherpause, wenn getratscht wird, dann gibt es auch Multiplikatoren, die immer in der Mitte stehen und der Rest ist eigentlich nur dabei um mitzukriegen, was passiert, und so ist es auf Twitter auch. Da gibt es eben so ein paar Knoten in der Mitte von dem Graphen, wo sich viele angehängt haben, aber die sind eben die Wichtigen. Und deswegen ist Twitter im Moment für die großen Parteien so wichtig, weil jetzt die Leute, die jetzt als erste reingehen, die besetzen das Feld für ihre Partei.

Frank Schirrmacher: Und was muss Altmeier denn jetzt liefern? Denn er kann ja nicht das liefern, was man von ihm erwartet.

Frank Rieger: Spannende Inhalte!

Frank Schirrmacher: Eben! Er kann ja nicht erzählen, er kann ja keine Geheimnisse verraten.

Fefe: Naja, er könnte ja so tun, als täte er es. Das machen die Medien ja auch nicht anders.

Frank Schirrmacher: Was er gerade versucht, glaube ich.

Frank Rieger: Das ist tatsächlich so. Wenn es nur Parteitransport ist und ein bisschen Gejubel und Gekuschel …

Fefe: … ja dann ist der ganz schnell weg.

Frank Rieger: Dann wird das nichts. Was ich jetzt an seiner Stelle tun würde, wir können es ja jetzt mal vorher sagen, damit mal wieder „Told you so“! – Er würde jetzt wahrscheinlich so lange mit den Piraten kuscheln, bis alle Leute darüber reden ob es nicht eine schwarz-orange Koalition geben wird.

Frank Schirrmacher: Das tut er ja.

Frank Rieger: Das ist ja jetzt auch ein bisschen offensiver.

Fefe: Nicht nur Kuscheln! Es gibt ja viele … ich sage jetzt mal sowas wie ein Redenprotokoll oder sowas, nichts so Ausgefallenes, aber was eigentlich eine Sache für die Piraten wäre, und da haben die im Moment einfach nicht die Infrastruktur, um das von selbst zu entdecken. Und wenn der Altmeier einfach in seinem Twitter dann auf sowas hinweist, auch gar nicht mal: „Guckt mal Piraten!“ Sondern einfach nur: „Guckt mal, was ich gefunden habe!“, und seine Follower sehen dann, da gibt es ab und zu mal was Interessantes, das reicht ja völlig. Wir erwarten ja gar nicht, von unseren Quellen, dass sie die gesamte Arbeit machen. Ab und zu mal so ein Nugget.

Frank Schirrmacher: Was bringt er dann der CDU?

Fefe: Der CDU bringt er, dass sie im Gespräch bleibt.

Frank Rieger: Modernität!

Frank Schirrmacher: Genau! Aber Moment. Bisher ist ja noch gar nicht viel passiert. Ihr redet jetzt von einem Menschen, der twittert. Wir haben den Artikel ja gedruckt. Ich kenn den ja. Er twittert, er öffnet sich ein bisschen, aber dass ist genau das, was er übrigens auch mit Journalisten täte, im Grunde hat er sich verlagert, das Hintergrundgespräch mit Journalisten in Twitter. Reicht das?

Frank Rieger: Naja, er schrieb ja auch, dass er mehr Demokratie wagen will. Und am Ende ist es genau das, worüber wir gerade geredet haben, nämlich den Versuch zu unternehmen, uns gesellschaftlich darüber zu verständigen, was jetzt eigentlich notwendig ist. In dem Augenblick, wo klar wird, dass das, was er da tut, eh nur Transmissionsriemen für seine Partei ist, ist es uninteressant.

Frank Schirrmacher: Das wird eben der interessante Moment sein.

Minuten 120:00 bis 125:00

Frank Rieger: Dann wird's halt langweilig. In dem Augenblick, wo wir aber davon reden,

Fefe: … dass er einen Mehrwert schafft …

Frank Rieger: … dass wir im Internet digitale Runde Tische bilden, und uns einfach einmal als Gesellschaft über die Parteigrenzen hinweg darüber unterhalten, wie es jetzt eigentlich weitergehen soll, wo wir eigentlich hin wollen, was die Ideale sind, nach denen wir eine Gesellschaft bauen wollen. Dann wird's spannend.

Frank Schirrmacher: Das Stichwort ist übrigens „Runder Tisch“.

Frank Rieger: So ein digitaler Runder Tisch ist eigentlich das, was ich mir da wünsche, und was da passiert, und wo die Piraten auch eine Menge beitragen können. Wo wir einfach uns hinsetzen und sagen: Okay wir sind in dieser Situation, wir müssen natürlich darüber reden, wie wir dahingekommen sind, aber am Ende hat diese Finanzkatastrophe eben tatsächlich die Ausmaße einer Naturkatastrophe, das heißt wir müssen uns jetzt auch darüber unterhalten, wie geht's denn jetzt eigentlich weiter, und was wir daraus lernen. Und dass es jetzt nicht mehr so weitergeht wie vorher, ist allen klar, aber der Verständigungsmechanismus darüber, wie es jetzt weitergehen soll, ist der einzige, den ich sehe, ist eben tatsächlich eine Digitalisierung der Demokratie.

Fefe: Ich glaube ja nicht, dass es weitergehen kann, bevor wir überhaupt analysiert haben, was da genau passiert ist. Das durchblickt doch keiner. Im Moment ist doch alles, was wir sagen: „Ach, die Scheißbanker, die haben uns über den Tisch gezogen.“ Aber es ist doch mehr ein System als die Leute. Die Leute haben doch nur ihre Rolle erfüllt, die ist zwar widerlich und abartig, und ich kann die Leute alle verachten, aber was ich verhindern muss, ist das System. Ich kann doch nicht nur sagen: Die Leute sind böse.

Frank Schirrmacher: Kann ich nur ein Beispiel erzählen, ohne dass das egoman oder so ist. Das kann ich ja ruhig öffentlich einmal … es geht gar nicht, dass ich da beleidigt bin, oder so. Ich habe mich da mit der Demografie befasst 2004. Da war die Merkel noch Oppositionsführerin. Und ich bin ja überzeugt, dass das eine ganz schlimme Sache ist, und dass es eigentlich ein Betrug ist, und dass wir ihn dann spüren, wenn wir uns nicht mehr wehren können. Das ist meine Ausgangsposition: Wenn ich 30 bin, kann ich mich wehren, wenn es mich erwischt. Wenn ich plötzlich mit 60 sehe, oder mit 65, es ist alles nicht mehr da, ist es schlimmer. Da sagte Angela Merkel damals – es war sogar öffentlich – die wollte das Buch unbedingt, die wollte das Thema unbedingt vorstellen. Und es ging darum: Wie können wir die Gesellschaft aufklären, was kann man eigentlich machen, ohne dass man den ganzen Banken und Lebensversicherungen hier einen Markt eröffnet, dass das klar wird, dass hier ein echtes Problem entsteht? Da sagte sie: „Das mache ich zum Thema meiner Kanzlerschaft. Und das ist das, was … das ist wirklich so wichtig.“ Und so weiter. Und zwar bei dieser Veranstaltung vor vielen vielen Menschen! Und da habe ich einmal aus der Nähe erlebt, wie so etwas passiert. Also ich kann nicht behaupten, sie kennt das Problem nicht. Das hat sie total verstanden. Ich weiß, dass an Kabinettstischen darüber geredet wird. Einer sagte mir das einmal, als ich ihn fragte: „Sagen Sie, sehen Sie das?“ Und er sagte: „Ja wir wollen ja auch nicht alle später in Zehnbettzimmern gefesselt sitzen als alte Menschen, weil es nicht genug Pfleger gibt.“ Also das Problem, was da alles auf uns zukommt, ist klar. Und haben Sie irgendwo ein Indiz außer, dass Frau von der Leyen Pflegejahre einführt? Das ist ja so ein Punkt.

Frank Schirrmacher: Das sind ja nicht Nebenthemen der Gesellschaft, das sind Themen, die uns so zentral, die auch zum Umbau der Gesellschaft führen müssten, wo man so sagen würde: „Wir müssen alles dafür tun, dass junge Menschen integriert werden.“ Und so, das hat ja alles damit zu tun. Ich sehe das eben gar nicht. Und darum glaube ich, dass diese Twitter-Demokratie, die digitale Demokratie, die da entsteht, im Augenblick mehr eine Art von Simulation ist, weil die Leute im Augenblick auch relativ leicht befriedigt sind: Man muss nur die richtigen Worte sagen. Die Handlung, die Taten werden nicht abgefragt. Also Sie sagen ja: „Wenn der Altmeier nicht die Taten bringt, dann ist er schnell wieder weg.“

Fefe: … das ist aber unsere Aufgabe …

Frank Schirrmacher: … aber wer ist denn dafür bisher bestraft worden, dass er? Es ging immer nur um Worte.

Frank Rieger: Da sind wir wieder bei meiner Forderung nach einer …

Fefe: Nein, aber das ist letzlich die Aufgabe von Bloggern und von den Medien, die Leute daran zu erinnern, was sie vor ein paar Jahren gesagt haben, und dass sie nichts getan haben. Twitter und Blogs und das Internet ist ein großartiges Medium, um Empörung hervorzurufen, wenn man die Fakten auf den Tisch legt. Und wenn der Altmaier das tut, dann wird er Leute haben, die seinen Kram lesen. Und wenn er es nicht tut, wird er die nicht haben. Das ist in meinen Augen so einfach. Und im Moment ist das so: Der größte Nutzen, der jetzt konkret aus dem Internet und der Vernetzung entsteht, ist, dass Leute einfach Dinge wie diese gefälschten – nein – verbesserten Protokolle beim Bundestag … die fallen einfach auf. Irgendeinem fallen die auf. Wenn es genügend Aufmerksamkeit gibt für so ein Thema, dann fällt so etwas eben auf. Und die Aufgabe von den Medien – und ich schließe mich da ein, ich bin auch Teil davon – ist, dass ich eben gucke, welche Aspekte sind wichtig. Und dann versuche ich eben, Aufmerksamkeit hinzuspielen und höre mir dann aber auch an, was die Leute herausfinden und versuche, so ein bisschen die Aufmerksamkeit zu lenken. Aber zu erwarten, dass ich da einfach einen Krumen hinwerfe und es klärt sich dann von selbst. Das geht halt nicht.

Minuten 125:00 bis 130:00

Frank Schirrmacher: Und wie sehen sie die Chance, was ich mir von den Piraten so erhoffen oder wünschen würde – diese riesen Marktlücke – diese Chance, ich rede ja nicht von einer technologiefeindlichen Partei, sondern einer technologiekritischen. Dass also die Expertise, die Sie beide ja haben, also aus der Informatik kommend, die Systeme kennend, dass eben so eine Partei auch eine Gesellschaft … wir können ja nicht dauernd sagen, das Digitale ist nur gut … sondern es ist ja erkennbar, dass muss ich Ihnen ja nicht … was da alles drin steckt. Der Trojaner ist jetzt auf der Staatsebene das Thema. Aber im Grunde müsste doch jetzt eine Partei auch schon thematisieren, dass sie nicht zulassen wird, dass digitale Systeme über Menschen urteilen, in der Weise, wie sie es in der Zukunft tun werden. Dass nicht Arbeitsplätze nur nach digitalen … dass Finanzmärkte nicht so … Das wäre ja eine richtige Expertenfrage auch. Also müssten Informatiker viel stärker in solchen Parteien eine Rolle spielen. Und so eine Partei müsste auch sich zum Anwalt von Menschen machen, die sagen, die Technologie hat eindeutig Grenzen und nicht nur bei den Staatstrojanern, sondern eben auch in der Arbeitswelt.

Frank Rieger: Es ist eben die Frage der Verständigung darüber, was wir tun wollen als Gesellschaft. Also welche Wege wir gehen wollen. Und dazu gehört natürlich auch, was wir mit Technologie beginnen wollen. Also welche Möglichkeiten in Technologie stecken und welche Probleme entstehen und wie wir sie verwenden wollen. Und diese Diskussion mit der Spackeria zum Beispiel darüber, welchen Stellenwert Privatsphäre haben soll oder welche Rechte wir zum Beispiel Konzernen geben wollen, mit unseren Daten über unser Leben zu verfügen. Da sehe ich schon durchaus ein ganz großes Feld von Verständigung, was zwingend notwendig ist.

Fefe: Naja. Es gibt ein inhärentes Problem. Nämlich, das Informatiker und Techniker insgesamt von ihrer Herangehensweise lernen: Wir arbeiten mit unperfekten Komponenten. Da kann immer mal was ausfallen. Aber wir konstruieren daraus was Gutes. Diese Einsicht, dass Sachen inhärent nicht lösbar sind, ist ein großes Problem für viele Informatiker. Die meisten werden das in ihrer gesamten Kariere nie einsehen. Und das ist einfach ein Sprung, den man von einer Technikpartei – fürchte ich – weniger erwarten kann, als von einer anderen Partei. Man brauch halt ein paar Techniker – also es gibt natürlich kritische Informatiker und es gibt auch den CCC natürlich, wir machen ja auch sowas wie Folgenabschätzung –, aber das Studium bereitet einen genau aus der anderen Richtung darauf vor, auf das Leben und sagt: „Wir können das alles managen, wir müssen nur lernen wie!“

Frank Rieger: Der Ingenieursansatz!

Fefe: Das ist der Ingenieursansatz! Genau! Und diese Leute dazu zu bringen, dass die dann sagen: „Ja, aber das hat also auch negative Folgen, und das müssen wir verhindern!“ Das ist ein ganz großer Schritt und deswegen sieht man den auch so selten von Technikern gegangen. Leider! Aber solange denen dann jemand zuhört, den paar, die den Schritt gehen, finde ich das nicht so schlimm. Und ob man das jetzt von den Piraten erwarten kann? Ich hoffe ja, werden wir sehen.

Frank Rieger: Wenn wir das jetzt so ein bisschen zusammenfassen. Wir stellen fest, unser politischer Diskurs hat sich dann doch ziemlich verändert und wir sind gerade in der Phase, wo sich neue Diskursformen herausbilden – hoffen wir …

Fefe: … und neue Strukturen gesellschaftlich – nicht nur der Diskurs, der sich ändert.

Frank Rieger: Wir brauchen ja eine gesellschaftliche Verständigung darüber, wie es weitergehen soll. Was jetzt danach kommt.

Fefe: Ich finde es auffallend, dass wenn wir darüber reden, wir bei zwei Punkten ankommen, nämlich erstens: Den runden Tischen, vom Ende der DDR. Und zweitens: „Mehr Demokratie wagen“, von Willy Brandt. Das sind doch so die beiden Fixpunkte, die haben wir am Anfang gehabt und die haben wir jetzt wieder.

Frank Schirrmacher: Der Runde Tisch ist ja dann abgeschafft worden …

Frank Rieger: … der wollte ja z. B. eine neue Verfassung für Gesamtdeutschland haben.

Frank Schirrmacher: … Ich weiß! Der runde Tisch ist auch eine Krisensymptom. Ich erinner mich genau an den runden Tisch. Aber wir sind, wenn wir das schon einmal anerkennen, dass wir in dieser Phase sind, das fällt mir ein bisschen wie Schuppen von den Augen, dann sind wir schon im Jahr zwei nach der Krise. Jahr Eins Implosion, Jahr zwei wäre ja schon der runde Tisch.

Frank Rieger: Die runden Tische sind ja erst dann sozusagen anerkennend, wenn es sie gibt. Worüber wir gerade reden, ist von der Notwendigkeit der runden Tische …

Frank Schirrmacher: … aber Altmeier und Beck und Lauer, die sind schon …

Frank Rieger: Das geht schon in die richtige Richtung.

Minuten 130:00 bis 132:00

Frank Schirrmacher: Aber ich habe noch was drittes: Ich komme ja aus dieser anderen Ecke, die Kategorie des Interessanten. Das ist für mich eines der Highlights dieser Gespräche: Wenn er nichts Interessantes liefert, ist er schnell weg – oder wenn ein Blog nicht interessant ist. „Interessant“ ist eine ästhetische Kategorie, es ist eine Kategorie der Kunst. Das Interesse ist etwas – was definiert ästhetische Diskurse? Und das ist auch in der Zeitung so. Interessante Diskurse, das ist in meinen Augen auch die Zukunft der Zeitung. Nicht vorgegebene, nicht geklonte Diskurse. Interessante Diskurse, das Interesse als Kategorie, d. h. ich will nicht gelangweilt sein. Das reicht schon – es ist schon eine politische Aussage. Und wenn wir die ernst nehmen, hieße es, wir schalten die Talk-Shows alle ab, wir schalten die Bundestagsreden ab. Sie müssen uns was bieten, und zwar nicht Unterhaltung im Sinne vom Thriller unbedingt – das wär auch nicht schlecht – aber Interesse. Denn Interessantes, so ist es definiert, heißt auch: „Du interessierst Dich für dein Gegenüber“. Nur dann kannst du interessant sein.

Fefe: In beide Richtungen, wohlgemerkt. Wenn ich nicht das Gefühl habe, dass die mich ernst nehmen, dann höre ich ihnen auch nicht zu.

Frank Schirrmacher: Ganz genau.

Fefe: Und das ist nämlich eine Sache die unsere Politiker alle noch lernen müssen, und wo die Piratenpartei möglicherweise einen Vorsprung hat durch diesen direkten Twitter-Zugang.

Frank Schirrmacher: Und dass dieses digtale System möglicherweise – und das ist wirklich eine Erkenntnis dieses Gesprächs – in einer vordigitalen Welt können Sie in den Medien machen was Sie wollen, und ob da einer zuguckt oder nicht, die können ja nicht anders. In der digitalen Welt heißt der Darwinismus: Ich überlebe nur durch Interesse. Jetzt entscheiden sich manche fuer Boulevard, oder für Sex, oder was auch immer, aber in unserem politischen Diskurs hieße das was ganz anderes. Und das wäre dann ein Wettbewerb, der könnte total tolle Ergebnisse haben.

Fefe: Der kann auch voll nach hinten losgehen, wenn die Leute „Big Brother“ gucken wollen.

Frank Rieger: Na gut, das geht immer.

Fefe: Naja, Hauptsache wir bleiben interessant mit Alternativlos.

Frank Rieger: Dann bedanken wir uns nochmal ganz herzlich für das Gespräch.

Frank Schirrmacher: Ich danke sehr.

Frank Rieger: Das war ja doch eine sehr interessante Sendung.

Fefe: Ich glaube auch relativ lang, oder?

Frank Rieger: Wir sind glaube ich bei 2:11. Also, das war Alternativlos Nummer 20, und wenn ihr uns ein bisschen Geld zukommen lassen wollt, da rechts ist der Flattr-Button für diese Sendung. Ansonsten bedanken wir uns fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal.